DAKS-Newsletter Juni 2012 ist erschienen!

Am  30. Juni 2012 soll die sogenannte Verteidigungsgüter-Richtlinie (2009/81/EG) ihre EU-weite Verbindlichkeit erlangen. Das Ziel, die Regeln des Gemeinsamen Marktes auch auf den Rüstungsmarkt anzuwenden, ist damit in greifbare Nähe gerückt. – In einem Hintergrundartikel haben wir uns die Frage vorgelegt, weshalb dieses Ereignis völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit eintreten konnte.

Besonders freuen wir uns jedoch über den Gastbeitrag von Ralf Willinger (terre des hommes Deutschland) über den diesjährigen „Red Hand Day“ und was Kindersoldaten mit Kleinwaffen und Waffenhandel zu tun haben.
Andrea Kolling berichtet über das Treffen des „European Network against Arms Trade“, das vom 15.-17. Juni 2012 in Berlin stattgefunden hat.
Und schließlich: ein Interview mit Marc von Boemcken (BICC) über deutsche Kleinwaffenexporte.

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DAKS-Newsletter Juni 2012

Das G3 war sehr populär im Krieg in Sierra Leone“ – Kindersoldaten und Waffenhandel

von Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland

Rote Farbe auf die Hand, Hand aufs Papier, Name drunter, Botschaft drüber und dann ab an die Wäscheleine – so einfach funktioniert die Aktion Rote Hand, an der weltweit schon über 370.000 Menschen in über 50 Ländern teilgenommen haben (www.redhandday.org). Auch über 100 Abgeordnete aller Parteien und Regierungsmitglieder gaben am diesjährigen Red Hand Day im Bundestag ihren roten Handabdruck ab und versprachen damit, sich gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten einzusetzen. Darunter waren Familienministerin Kristina Schröder ebenso wie der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus oder die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast. Die Aktion war von der Kinderkommission des Bundestages, Schülern aus Wedel, Berlin und Osnabrück und dem Deutschen Bündnis Kindersoldaten, einem Netzwerk von Kinder- und Menschenrechtsorganisationen, organisiert worden. Der Red Hand Day am 12. Februar ist ein internationaler Gedenktag an das Schicksal von schätzungsweise 250.000 Kindersoldaten, Mädchen und Jungen, weltweit.

Auch Deutschland habe beim Thema Kindersoldaten eine Verantwortung, sagten bei der Pressekonferenz zum Red Hand Day 2012 in Berlin der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Tom Koenigs, Vertreter der Kinderrechtsorganisationen terre des hommes und Plan sowie Schülerinnen und Schüler. „Hierzulande verletzt die Bundesregierung ihre Fürsorgepflicht gegenüber traumatisierten ehemaligen Kindersoldaten. Da sie nicht als politisch Verfolgte angesehen werden, erhalten sie oft keine Asylberechtigung, oft droht ihnen Abschiebehaft“, sagte Tom Koenigs. Immer wieder flüchten Kindersoldaten bis nach Deutschland, beispielsweise aus Afghanistan, Somalia, dem Irak, dem Sudan oder aus Zentral- oder Westafrika.

Außerdem wurde von Koenigs und den Kinderrechtsorganisationen kritisiert, dass die Bundeswehr weiter jedes Jahr etwa 1000 17-jährige rekrutiert und bei Minderjährigen einseitig und damit völkerrechtswidrig für den Dienst an der Waffe wirbt. Ebenso wurde auf die problematische Rolle von Deutschland als Rüstungsexportnation Nr. 3 (hinter den USA und Russland) hingewiesen. Deutschland exportiere massenweise Kleinwaffen in Krisenregionen, die auch von Kindersoldaten genutzt werden.

Dies bestätigte auch Ismael Beah, ehemaliger Kindersoldat, UN-Botschafter und Buchautor, im Juni in Berlin im Gespräch mit Vertretern des Deutschen Bündnisses Kindersoldaten. „Das G3 [der deutschen Firma Heckler und Koch] war sehr populär im Krieg in Sierra Leone“, sagte er. Es gilt nach der russischen Kalaschnikow als das am meisten verbreitete Schnellfeuergewehr weltweit. Für Ismael Beah sind ein Stopp der massenweisen Verbreitung von Kleinwaffen und die Reintegration von Kindersoldaten in die Gesellschaft während und nach Kriegen die wichtigsten zu lösenden Probleme, um die Lage von Kindersoldaten weltweit zu verbessern.

Zwar gibt es wichtige Fortschritte beim Thema Kindersoldaten, beispielsweise die Verurteilung von zwei Verantwortlichen vor dem Internationalen Strafgerichtshof, Thomas Lubanga, ehemaliger Kommandeur aus dem Kongo, und Charles Taylor, ehemaliger Präsident Liberias. Aber gerade beim wichtigen Thema Waffenhandel wird die Lage immer dramatischer, die Konfliktgebiete werden überschwemmt mit billigen Kleinwaffen. Allein die deutschen Ausfuhren von Kleinwaffen und Munition haben sich von 1996 bis heute vervierfacht [Quelle: Rüstungsexportbericht 2011 der GKKE. www.gkke.org] – eine skandalöse Zahl, die verdeutlicht, dass die deutschen Rüstungsexportregeln von den zuständigen Behörden viel zu lasch interpretiert werden.

Man muss es leider so deutlich sagen: Durch die massiven deutschen Rüstungsexporte ist Deutschland mitverantwortlich für das Leid unzähliger Kinder in Kriegsgebieten. Es ist gut, dass Deutschland sich beispielsweise als Vorsitzender in einer Arbeitsgruppe des UN-Sicherheitsrates für einen besseren Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten einsetzt. So lange aber deutsche Firmen mit dem Segen der Behörden weiter massenweise am Leid von Kindern verdienen, muss sich die Bundesregierung die Frage gefallen lassen, wie dies zusammenpasst. Diese Frage wird nicht nur von ehemaligen Kindersoldaten wie Ismael Beah und nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen immer wieder gestellt, sondern auch von anderen Ländern und UN-Gremien wie dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes. Die Antwort kann eigentlich nur heißen: Das Wohl der Menschen und speziell der Kinder muss künftig vorgehen vor Wirtschafts- und strategischen Interessen – wie es im Völkerrecht (z. B. der UN-Kinderrechtskonvention) festgelegt ist. Leider wird dies von den Regierenden in Deutschland und anderen Ländern oft vergessen, gerade beim Thema Waffenexporte. Begünstigt wird dies durch Geheimhaltung und mangelnde Transparenz bei Rüstungsgeschäften.

Bessere Transparenz, restriktive Gesetze und Druck von der Bevölkerung sind zentral, um den krebsartig wuchernden Waffenhandel endlich einzudämmen. Gerade wer sich für eine Verbesserung der Lage von Kindersoldaten einsetzen will, sollte auch gegen den boomenden deutschen und internationalen Waffenhandel und für die friedliche Lösung von Konflikten aktiv werden. Kinder werden heute massiv in bewaffnete Konflikte und Kriege reingezogen, gerade auch in Kriegen, an denen westliche Länder mehr oder weniger direkt beteiligt sind, wie in Afghanistan, dem Irak, Somalia, dem israelisch-palästinensischen Konflikt, Syrien oder Libyen. Sie werden in vielen Ländern als menschliche Schutzschilde, Minenerkunder oder Kindersoldaten ausgebeutet, Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser werden angegriffen, unzählige Kinder sterben dabei täglich. (www.kindersoldaten.de)

Glauben Sie, dass eine Welt ohne Kindersoldaten möglich ist?“ fragten die Schülerinnen und Schüler am Red Hand Day die Teilnehmer an der Aktion Rote Hand. Auch wenn es immer wieder Fortschritte gibt, ist es bis dahin sicher noch ein langer Weg. Kindersoldaten, verletzte, getötete, gefolterte und traumatisierte Kinder wird es geben, so lange es Kriege und massenweise Waffen vor Ort gibt. Umgekehrt gilt: Weniger Waffen in Krisengebieten und die friedliche Beilegung von drohenden bewaffneten Konflikten können das Leben von Kindern und erwachsenen Zivilisten retten.

Dafür kann sich jeder Einzelne einsetzen: über kreativen Protest wie die Aktion Rote Hand oder die Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel, mit Protestbriefen an die Verantwortlichen, mit Geldern für Friedens- und Menschenrechtsinitiativen oder durch den Einsatz für mehr Friedenserziehung an Schulen. Und hier sind auch die deutschen Politiker gefragt – insbesondere die, die mit ihrem roten Handabdruck versprochen haben, sich gegen den Missbrauch von Kindersoldaten einzusetzen. Schülerinnen und Schüler, Aktivistinnen und Aktivisten und Kinderrechts- und Menschenrechtsorganisationen aller Kulturen und Nationalitäten müssen hier

weiter Druck machen – in Deutschland und weltweit.

European Network Against Arms Trade (ENAAT), vom 15. – 17. Juni 2012 in Berlin!

von Andrea Kolling

„Wenn es uns gelingt ‚den Leo aus Deutschland an die Kette zu legen‘ müssen wir davon ausgehen, dass er aus Spanien an Saudi-Arabien geliefert wird und ungezählte in Deutschland gefertigte Komponenten enthält, die aus Deutschland geliefert werden, ohne je als Export zum Zwecke des Baus von Kriegswaffen behandelt worden zu sein. Das macht das europäische Kampagnen–Netzwerk gerade jetzt besonders wichtig! Denn die Bundesregierung verfolgt eine Politik der europäischen Harmonisierung auf Kosten der Menschenrechte.“ So kommentiert pax christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann das Treffen in Berlin. Gleich am ersten Abend begrüßte Kampagnensprecherin Hoffmann das ENAAT-Netzwerk in den Räumen von Pax christi zum Parlamentarischen Abend der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ mit interessierten Abgeordneten und internationalen Gästen.

Inhaltlicher Fokus dieser Gespräche waren die europäischen Herausforderungen zum Stopp des Waffenhandels. Dieser Parlamentarische Abend der „Aktion Aufschrei“ war der erste öffentliche Auftritt des neuen Vorsitzenden der GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte, Jan Grebe. Er unterstützte in Berlin die Kampagne durch ein Impulsreferat zu den Herausforderungen im Rahmen des Überarbeitungsprozesses des Gemeinsamen Standpunktes und zu den notwendigen Veränderungen, um ein europäisches Rüstungsexportkontrollregime robuster zu machen. Er präsentierte die Position der GKKE zur europäischen „Verbringungsrichtlinie“ zum innereuropäischen Handel mit Rüstungsgütern und äußerte die Befürchtung, dass in den nächsten Jahren die Zahl der Rüstungsexporte in den Rüstungsexportberichten zurückgehen wird, weil die Daten innerhalb Europas nicht mehr erfasst werden und somit der falsche Eindruck entstehen könnte, die Zahl der exportierten Rüstungsgüter hätte sich verringert. Kampagnensprecher Jürgen Grässlin präsentierte den internationalen Gästen des ENAAT die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, ihr Anliegen und die bisherigen Aktionen mit anschaulichen Bildern und kurzen Videospots.

Am Freitagmittag konnten die ENAAT-Mitglieder bei einem ausführlichen Gespräch über die Rüstungsexporte in Europa im Bundestag mit Jan van Aken, als einem für den Bereich verantwortlichen Abgeordneten der Bundestagsfraktion Die Linke, über die Rolle Deutschlands als drittgrößtem Rüstungsexporteur diskutieren. Das skandalöse Panzergeschäft der Merkel-Regierung mit dem saudi-arabischen Herrscherhaus war sowohl bei diesem Gespräch, aber auch insgesamt während des ganzen Wochenendes immer wieder Thema. Die doch sehr wahrscheinliche Variante einer Abwicklung über Spanien, konkret über den Panzerbauer Santa Bárbara Sistemas, wurde von den anwesenden spanischen Kollegen aus Barcelona mit großem Interesse aufgenommen, da ihnen diese Information neu war.

Am Freitagnachmittag begann das eigentliche ENAAT-Treffen mit einem Referat von Sara Depauw vom Flemish Peace Institute aus Brüssel über Inhalte und Auswirkungen der EU-Direktive zu Waffenhandel auf die europäischen Nationen. Inhaltlich wurde damit die Diskussion vom Abend vorher mit den Abgeordneten um die konkreten Probleme und Veränderungen der nationalen europäischen Rüstungsexporte erweitert. Allerdings wäre eine kritischere anti-neoliberale Position bei der Darstellung der Direktive vielen Anwesenden eher entgegengekommen.

Am Samstagvormittag wurden die einzelnen Länder, ihre Rüstungsexportpolitik, Kampagnenschwerpunkte, Aktionen, als auch die Situation in den einzelnen Organisationen vorgestellt und ausführlich erörtert. Das Herzstück des ENAAT, die nationalen Country Reports, sorgten auch diesmal für tiefgreifenden Erkenntnisgewinn bei den einzelnen Teilnehmern. In Berlin war es gelungen, einen Vertreter der Nesehnuti aus Brünn in Tschechien einzuladen, der ausführlich die letzten Jahre der Rüstungsexportpolitik der tschechischen Republik skizzierte. Die Regierung hat dort in den letzten Jahren wieder offensiv begonnen, ihre Rüstungsexporte zu intensivieren und auch Waffen mit staatlicher Unterstützung in Bürgerkriegsländer zu liefern. Erschreckend hierbei die großen Printmedien, die dies als große Erfolge loben. Davon sind wir hier in Deutschland zum Glück weit entfernt.

In den nordeuropäischen Ländern sind und bleiben Kampagnen unter dem Slogan „Keine Waffen an Diktatoren“ zentral. In Italien war der Rechercheschwerpunkt: „Banken und Kredite für die Rüstung“. Die niederländische Kampagne erfuhr über das Informationsfreiheitsgesetz, in welchem Ausmaß Pensionsfonds Anteile an Rüstungsunternehmen besitzen. Die englische Kampagne gegen Rüstungsexporte recherchierte, dass sich Regierungsvertreter fast zweimal wöchentlich mit Vertretern von BAE Systems trafen. Einzelne effektvolle, witzige Aktionen wurden auch geschildert. Die einzelnen Länderberichte können unter www.enaat.org nachgelesen werden.

Zum ENAAT-Treffen kamen neben Tschechien diesmal VertreterInnen aus Großbritannien von der Kampagne gegen Waffenhandel (Campaign against Arms Trade, CAAT), aus den Niederlanden (Campagne Tegen Wapenhandel), von der Swedish Peace and Arbitration Society (SPAS) aus Schweden, aus Finnland, von Comittee of 100 und Safer globe, aus Italien von Rete Italiana per il Disarmo, aus Norwegen von der Norwegian Peace Association, aus Spanien vomCentre d’Estudis per a la Pau J.M. Delàs de Justícia i Pau, aus der Schweiz mit der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GsoA) und von War Resisters International aus London.

Am Nachmittag präsentierte die Berliner „Friko“ ihre Arbeit und Positionen. Eine Vertreterin der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft stellte ihre Arbeit kurz vor. Leider sagten u. a. die Arbeitsstelle für Frieden und Abrüstung und auch die Initiative gegen Waffen vom Bodensee ihre Teilnahme ab.

Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), sprach sich in seinem Beitrag über die aktuelle Drohnentechnologie und die zu erwartenden Exportambitionen der Hersteller für ein Verbot des Einsatzes von Kampfdrohnen, wie sie derzeit von der Obama-Regierung zu illegalen Hinrichtungen eingesetzt werden, aus. Er unterstrich die Gefahr, sich in Kampagnenaktionen in technischen Abgrenzungen und Diskussionen über einzelne Reichweiten und Abschussmöglichkeiten zu verheddern. Seiner Ansicht nach werden diese Diskussionen den zu erwartenden technischen Entwicklungsschüben hinterherhinken. Nassauer sieht einen Rüstungswettlauf um die Kampfdrohnenentwicklung und -produktion. In allen anwesenden europäischen Ländern des ENAAT gibt es Drohnenprogramme und Kooperationen zwischen den einzelnen Staaten als auch mit den USA und Israel, sodass eine lebhafte Diskussion mit vielen Informationen aus den einzelnen Ländern folgte. Allein in Norwegen sind interessanterweise 47 Unternehmen in die Drohnenentwicklung involviert.

Am Samstagnachmittag erläuterte Lucas Wirl (Geschäftsführer von NatWiss, Program Director vom International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES) und im Netzwerk Hochschulen für den Frieden) das Engagement zur Zivilklausel-Verankerung an deutschen Universitäten und die aktuellen Entwicklungen. Das Interesse aus den anderen europäischen ENAAT-Mitgliedsstaaten an der Diskussion über die Proteste gegen eine zunehmende Etablierung von Militärforschung und Dual-Use-Gütern über die Drittmittel an den deutschen Universitäten war groß. Hier werden weitere Netzwerkkontakte ausgebaut und die Diskussion hier wurde außerhalb Deutschlands mit Freude und Interesse zur Kenntnis genommen.


Zum Abschluss des Tages gab es das Touristenprogramm im Berliner Regierungsviertel mit einer Schiffstour und dem anschließenden gemeinsamen Essen, bei dem in vielen Einzelgesprächen die unterschiedlichen Themen diskutiert wurden.

Am Sonntagvormittag wurde u. a. das Problem der unterschiedlichen Zahlen von den einzelnen Nationalstaaten im offiziellen europäischen Rüstungsexportbericht erörtert. Ein Vorschlag der Spanier zu einen gemeinsamen EU-Projekt wurde vorgestellt und diskutiert.

Rückblickend ist es bedauerlich, dass am Parlamentarischen Abend leider von den Regierungsfraktionen kein Parlamentarier erschien, auch nicht von den Oppositionsparteien der SPD und von den Grünen. Schwierig war es auch, die deutschen in Berlin ansässigen Gruppen, die dem Thema nahe stehen oder dazu arbeiten mit einzubeziehen. Schade auch, dass es nicht möglich war, jemanden aus Saudi-Arabien einzuladen, der aus seiner Sicht das Leopard II-Panzergeschäft hätte erörtern können. Trotz verschiedener Anläufe konnten wir dazu niemand finden.

Insgesamt fanden die ausländischen als auch die inländischen Teilnehmer das Treffen einen Erfolg und sehr interessant. Nach über zehn Jahren wieder einmal in Deutschland zu Gast zu sein, erfüllte die ENAAT-Mitglieder mit Genugtuung. Das nächste ENAAT-Treffen findet in der Schweiz statt, der genauere Ort wird noch bekanntgegeben.

MDR berichtet: Bundespolizei und EADS unterstützen saudische Religionspolizei

In einem Beitrag des MDR-Nachrichtenmagazins FAKT berichten Marcus Weller und Sandro Poggendorf über die Kooperation von Bundespolizisten mit der Rüstungsfirma EADS, die in Saudi-Arabien ein monströses Grenzkontrollsystem errichtet. Unter den Sicherheitskräften, die den Grenzzaun bewachen, sind auch Religionspolizisten, die die Scharia anwenden und für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Mathias John von Amnesty weist im Film des MDR auf die Menschenrechtslage in dem Land und der Region hin. Verschiedene Oppositionspolitiker im Deutschen Bundestag haben angedeutet, diese Mitwirkung deutscher Polizisten an dieser Kooperation beenden zu wollen.

Doch angesichts von jahrzehntelangen Kleinwaffen-Exporten (im Filmbericht gut zu sehen: G3-Gewehre), G36-Nachbaurechten, Panzerexportplanungen und jahrelanger Polizeiausbildung muss man fragen: Wie tief sind die deutschen Regierungen bereits mit den Diktatoren in Saudi-Arabien verbunden? – Aufklärung ist bitter nötig.

Symbiosis“: Ausstellung eines Kunstprojekts aus Kleinwaffen

Der Frankfurter Künstler Peter Zizka und Matthias Rettner, Geschäftsführer des in Freiburg ansässigen Aktionstheaters Panopticum, haben in einem Kunstprojekt, das im Juni im südbadischen Freiburg zu sehen war, Kleinwaffen „unschädlich gemacht“, wie Laurie Tierce in der Badischen Zeitung berichtete. Anderthalb Tonnen Handfeuerwaffen wurden, trotz großer bürokratischer Hürden, aus Burundi nach Deutschland gebracht. Die entstandenen Werke sind sehenswert und vor allem sind die den Kunstprozess begleitenden Gedanken der beiden Künstler sehr anregend, was die Kleinwaffenproblematik betrifft. Der Erlös von „Symbiosis“ kommt übrigens Projekten von Caritas International in Burundi zugute.

Aktion Aufschrei“: Aktivitäten und Informationen der Kampagne

Zehn Kurzfilme, die Zürcher StudentInnen zum Waffenhandel erstellt haben, werben für einen robusten ATT. Die Filme haben einen Schwerpunkt auf der Kleinwaffenthematik, sie sind clever gemacht und eignen sich hervorragend als Information und Motivation bei Veranstaltungen.

Die Kampagne „Hände hoch für Waffenkontrolle“ von Amnesty International läuft weiter! An der Online-Petition kann und sollte sich jede / jeder einfach beteiligen, denn die historische Chance, dieses Jahr einen starken und umfassenden Arms Trade Treaty zu erreichen, muss genutzt werden!

Wem es gefällt: In der “heute-show“ wurden am 01. Juni 2012 Waffenexporte auf Comedy-Art thematisiert, unter anderem die nach Libyen gelieferten G36-Gewehre. Zu sehen beim ZDF. Oder bei youtube.

Friedensgutachten will Kleinwaffenexporte verbieten lassen:

Interview mit Marc von Boemcken (BICC)

Am 22. Mai 2012 ist das Friedensgutachten 2012 vorgestellt worden (LIT Verlag, ISBN 978-3-643-11598-0). In der gemeinsamen Stellungnahme der Herausgeber des Friedensgutachtens wurde die Forderung nach einer verbesserten Kontrolle des Kleinwaffen-Exports erhoben. Anlässlich des dort gemachten Vorschlags (S. 13), keine Kleinwaffen mehr auszuführen und keine Nachbaulizenzen mehr zu vergeben, haben wir Marc von Boemcken zu Fragen des Kleinwaffen-Exports befragt. Wir danken Herrn von Boemcken herzlich für seine Antworten. Die Fragen stellte André Maertens.

1. Wie sehen sie die Kleinwaffenproblematik, angesichts der Exporte und Lizenzvergaben deutscher Firmen (allen voran HK)?

Die Herausgeber des diesjährigen Friedensgutachtens weisen völlig zu Recht darauf hin, dass ein großer Teil der Todesopfer bewaffner Gewalt auf den Einsatz von Kleinwaffen zurückzuführen ist. Zwischen 50.000 und 100.000 Menschen kommen jedes Jahr auf diesem Wege ums Leben. Kleinwaffen aus deutscher Produktion, allen voran der Oberndorfer Firma Heckler & Koch, leisten hierzu ihren nicht unwesentlichen Beitrag. Das Sturmgewehr G3 gehört neben der russischen AK-47 und der israelischen Uzi zu den beliebtesten Waffen auf den Kriegs- und Konfliktschauplätzen der jüngeren Zeit. Diese weltweite Verbreitung ist nicht allein direkten Exporten aus Deutschland selbst, sondern auch diverser Lizenzproduktionen im Ausland geschuldet. Ein Beispiel: Die unter den Janjaweed-Milizen im Westen Sudans weit verbreiteten G3-Gewehre wurden wahrscheinlich im Iran hergestellt – die Lizenz dazu erteilte die Bundesregierung bereits Ende der 60er Jahre. Eine ähnliche Geschichte wiederholt sich womöglich derzeit in Saudi-Arabien, wo seit jüngstem das Nachfolgemodell der G3, die G36, produziert wird. Es darf gemutmaßt werden, dass die Saudis künftig weit weniger Skrupel haben werden, diese Waffe an Kriegsparteien zu liefern, als die deutsche Regierung.

2. Die Herausgeber des Friedensgutachtens fordern ein Exportverbot für Kleinwaffen: Wie sollte es aussehen?

Als erster Schritt wäre ein politisches Signal denkbar. Angesichts der oben skizzierten Probleme sollte die Bundesregierung ihre Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport dahingehend erweitern, den Export militärischer Kleinwaffen (gemäß Kriegswaffenliste) grundsätzlich nicht zu genehmigen. Dies müsste ebenso für die Ausfuhr aller Technologien gelten, die speziell für die Herstellung derartiger Waffen geeignet sind. Ein gesetzliches Verbot von Kleinwaffenexporten sollte hingegen nicht unabhängig von einer – nötigen – Überarbeitung der generellen Bestimmungen zu Rüstungsausfuhren erfolgen. Ein eigenes „Kleinwaffenexportgesetz“ macht in meinen Augen wenig Sinn, sind der Export größerer Waffensysteme, wie beispielsweise Kampfpanzer oder U-Boote, doch aus friedensethischer Perspektive meist nicht minder problematisch.

3. Warum nennen die Herausgeber gerade das G36 und die MP5? Was ist an diesen beiden Waffenypen besonders gefährlich?

Das G36 und die MP5 sind natürlich ebenso tödlich wie alle anderen militärischen Kleinwaffen auch. Ein Ausfuhrverbot hätte somit auch für weitere Infanteriewaffen von Heckler & Koch zu gelten, wie beispielsweise die HK416 oder HK417. Das bekanntere G36-Gewehr bzw. die Maschinenpistole MP5 illustrieren allerdings in besonderer Weise das Ausmaß sowie die gravierenden Folgen deutscher Kleinwaffenexporte. Das G36 schickt sich an, das Erbe des G3 anzutreten – also des Exportschlagers von Heckler & Koch schlechthin, das in vielen Kriegen der Gegenwart zum Einsatz kommt. Ähnlich verhält es sich mit der MP5, die zu den weltweit beliebtesten Maschinenpistolen zählt; mehr als 60 Länder rüsten ihre Soldaten und Polizisten mit dieser Waffe aus, darunter auch Staaten, denen regelmäßige Menschenrechtsverstöße vorgeworfen werden, wie z. B. Ägypten oder Indonesien.

4. Wie denken Sie über ein generelles Verbot von Waffenexporten im Grundgesetz?

Artikel 26 des Grundgesetzes verbietet bereits die ungenehmigte Herstellung und Beförderung von Kriegswaffen. Eine Erweiterung bzw. Klarstellung dieses Artikels, etwa durch den Zusatz, dass Rüstungsgüter grundsätzlich nicht exportiert werden sollen – wie aktuell ja von der Kampagne ‘Aktion Aufschrei’ gefordert – wäre aus meiner Sicht ein richtiger Schritt. Das größere Problem sind jedoch die Bundesgesetze, die Näheres regeln sollen, nämlich das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Das AWG sieht keine Hemmung von Exporten vor und konkurriert in dieser Hinsicht mit dem eher restriktiven Geist des KWKG und des Grundgesetzes. Das schafft Verwirrung und öffnet mitunter sogar das Fenster für eine Aufweichung gängiger Genehmigungspraxis. Es ist deshalb vor allem wichtig, ein neues und einheitliches Rüstungsexportgesetz zu schaffen, das die Vorgaben des Grundgesetzes äußerst restriktiv interpretiert und umsetzt. Dabei würde ich allerdings davor warnen, ein ‘totales Verbot’ aller Rüstungsausfuhren einzufordern. Wenn wir die Idee des staatlichen Gewaltmonopols für eine im Grundsatz erstrebenswerte Gesellschaftsordnung halten, dann dürfen wir konsequenterweise nicht vor der prinzipiellen Möglichkeit zurückschrecken, Länder ohne eigene Rüstungsindustrie bei der Ausstattung ihrer Sicherheitskräfte zu unterstützen. Ein Rüstungsexportgesetz müsste dennoch eine Reihe sehr strikter Bedingungen für eine mögliche Waffenlieferung definieren. Darüber hinaus sollte jeder Export öffentlich begründet und, im Idealfall, das Parlament in die Entscheidung mit einbezogen werden.

5. Wie beurteilen Sie das Verhalten der Bundesregierung im Fall der G36-Exporte nach Mexiko, Libyen und Georgien?

Alle drei Fälle enlarven zunächst den Mythos einer wirksamen Endverbleibsregelung beim Kleinwaffenexport. Direkte G36-Exporte nach Georgien hat es laut offiziellen Quellen nicht gegeben, trotzdem sind die Waffen dort aufgetaucht. Die in Libyen entdeckten Gewehre stammen anscheinend aus einer Lieferung nach Ägypten. Im Mexiko-Fall gerät das Thema Endverbleib dann vollends zur Farce: Da wird der Export von G36-Gewehren nur in bestimmte Bundesstaaten genehmigt, wobei es völlig schleierhaft ist, wie die weitere Verbringung der Waffen innerhalb des Empfängerlandes überprüft werden kann. Alles in allem birgt die Ausfuhr von Kleinwaffen ein sehr hohes Risiko der unkontrollierten Weiterverbreitung – anders als bei Panzern oder gar Fregatten. Streng genommen ließe sich dann sogar argumentieren, dass jeder Kleinwaffenexport potenziell gegen Kriterium 7 des Gemeinsamen Standpunkts der Europäischen Union zum Rüstungsexport verstößt, das Exporte untersagt, bei denen ein großes Risiko der Abzweigung bzw. unerwünschten Verbreitung besteht. Dies unterstreicht wiederum die Forderung der Herausgeber, die Ausfuhr derartiger Waffen zu verbieten.

6. Was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn HK ganz in die USA abwandern sollte?

Das Problem jeder nationalen Gesetzgebung zum Rüstungsexport ist, dass sich die Rüstungsindustrie zunehmend transnationalisiert. Es fällt einzelnen Firmen deshalb ggf. leicht, einer Verschärfung nationaler Regulierungen zu entkommen – eine Beobachtung, die nicht nur für Heckler & Koch, sondern für weite Teile der Rüstungsindustrie gilt. Die einzige Antwort sind dann regionale bzw. internationale Mechanismen zur Kontrolle des Rüstungshandels. Der Gemeinsame Standpunkt der EU von 2008 hat hier schon einen gewissen Vorbildcharakter, auch wenn es noch lange nicht so ist, dass Mitgliedsstaaten bei Verstößen gegen Exportrichtlinien sanktioniert werden können. Im Juli 2012 wird in New York über einen weltweiten Waffenhandelsvertrag – den Arms Trade Treaty (ATT) – beraten. Ob dieser Vertrag aber wirklich eine regulierende Wirkung auf den globalen Waffenhandel haben wird, ist derzeit völlig offen.

Marc von Boemcken ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonn International Center for Conversion (BICC), wo er sich u. a. mit verschiedenen Themen der Rüstungskontrolle beschäftigt. Im Friedensgutachten 2012 verfasste er gemeinsam mit Dr. Bernhard Moltmann einen Beitrag über den Zustand der deutschen Rüstungsindustrie („Der eingebildete Kranke. Rüstungsindustrie in Zeiten klammer Kassen“).

Zivilklausel: Universität Bremen in der KritikZur Problematik einer Zivilklausel und die Initiative „Hochschule für den Frieden“ war bereits im Februar 2012 im Deutschlandradio ein Interview zu hören gewesen, mit dem Bildungsjournalisten Karl-Heinz Heinemann. Nun berichtet Spiegel Online darüber, in welchem Ausmaß die Klausel an der Universität Bremen verletzt wurde – an jener Hochschule, die sich 1986 als erste einer solchen freiwillige Beschränkung , nicht für militärische Zwecke zu forschen, unterworfen hatte. Die Informationsstelle Militarisierung veröffentlichte Ende April einen „IMI-Standpunkt“ (Autor: Michael Schulze von Glaßer), der auch in der Tageszeitung junge welt erschien. Dort folgten weitere Artikel, unter anderem Ende Mai von Sönke Hundt und Patrick Spahn. Das Interesse der Industrie an Kooperationen mit oder Aufträgen für Forschungseinrichtungen ist immens. Nicht gering ist aber auch die Entschlossenheit der Zivilklausel-BefürworterInnen, die sich jüngst in Karlsruhe zu einer Konferenz zum Thema trafen, wie Michael Schulze von Glaßer berichtete.

Auf dem Weg zu einem Europäischen Rüstungsmarkt: Die EU-Richtlinie 2009/81/EG

Der Europäische Binnenmarkt ist eine Realität. Daran besteht kein Zweifel. Und auch die Schaffung eines Europäischen Rüstungsmarktes nimmt mehr und mehr Gestalt an. Gleichwohl markiert der 30. Juni 2012 einen Wendepunkt, denn an diesem Datum wird die so genannte Verteidigungsgüterrichtlinie (2009/81/EG) verbindlich in Kraft treten. Das mag irritierend klingen, denn faktisch ist das entsprechende Dokument natürlich längst ‚in Kraft‘. Die Sache ist: Da es sich um eine EU-Richtlinie und nicht um eine Verordnung handelt, hatten die EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, das EU-Gesetz in nationales Recht umzusetzen. Und diese Frist läuft nun ab. Wie ist es möglich, dass solche Entwicklungen von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet stattfinden? Ein Blick zurück und darauf, was in den vergangenen zwei Jahren passiert ist, mag die eine oder andere Erklärung bieten.

Den ersten Einschnitt markiert natürlich der 6. Mai 2009, denn an diesem Tag haben Rat und Parlament der EU die Verteidigungsgüter-Richtlinie verabschiedet. Die direkten Folgen dieser Entscheidung waren gleich null, denn zu einem ‚Gesetz‘, das gilt, wurde der verabschiedete Text erst 20 Tage nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union. Dies regelt und bestimmt die Verteidigungsgüter-Richtlinie selbst in ihrem Artikel 19.

Nun könnte man also überspitzt sagen, dass weder das Parlament, noch der Rat am 6. Mai ein Gesetz erlassen haben. Das Gesetz ist aber auch nicht einfach durch das Amtsblatt der Europäischen Union in die Welt gesetzt worden, denn als dieses am 1. August 2009 den Text der Verteidigungsgüter-Richtlinie erneut abgedruckt hatte (in den Sitzungsberichten und Protokollen des EU-Parlaments war die Verordnung schon längst öffentlich), ist ja wieder nichts passiert. In Kraft gesetzt hat die Verordnung eigentlich niemand, nur die Zeit, die verstreicht. Und so wurde die Verordnung 2009/81/EG am 21. August 2009 verbindliche Rechtswirklichkeit, ohne dass an diesem Tag irgendetwas passiert wäre, was man hätte fotografieren können oder über das man hätte berichten können. Man kann es natürlich nur vermuten, aber – wahrscheinlich haben auch die meisten EU-Parlamentarier an diesem Tag nicht daran gedacht, dass sie vor über drei Monaten einen Text verabschiedet hatten.

Bestandteil der Verordnung war auch ihr Artikel 18, der festlegt, dass die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten ein Jahr Zeit haben sollten, die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften so anzupassen, dass sie mit der neuen Verordnung kompatibel sind. Der 21. August 2010 markiert so betrachtet einen zweiten Einschnitt. Passiert ist an diesem Tag, zumindest in Deutschland, alles in allem – nichts. Der Bundestag scheint mit anderen Dingen beschäftigt gewesen zu sein, jedenfalls wurde die Frist zur Umsetzung gerissen. Aber ein Gesetzgebungsverfahren ist ja auch aufwändig: Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt (BT-Drs. 17/7275), der Bundesrat hat darüber beraten und beschlossen, den Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Technologie mit der Ausarbeitung zu beauftragen (BR-Drs. 464/11). Dieser Ausschuss hat sich bemüht, ohne dass eine einzige Bundestagsdebatte stattgefunden hätte, einen breiten Konsens für den entsprechenden Entwurf zu schaffen, und hat von den Bundestagsausschüssen für Auswärtige Angelegenheiten, für Innere Angelegenheiten, für Justiz, für Verteidigung und für Entwicklung Stellungnahmen eingeholt. Ende Oktober 2010 hat der Wirtschaftsausschuss dann seine Beschlussempfehlung vorgelegt (BT-Drs. 17/7520). Wohlgemerkt, im gesamten Beratungsprozess ging es zu keinem Zeitpunkt um die Frage, ob die EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden soll. Die einzige Frage, die bearbeitet werden konnte und durfte, war, wie die Richtlinie in das deutsche Rechtssystem integriert werden soll. Deshalb entspricht es auch der Systemlogik, dass das Bundeswirtschaftsministerium noch am 26. Juli 2011 ein Rundschreiben zur vorläufigen Anwendung der Verteidigungsgüter-Richtlinie veröffentlicht hat, in der das Bundestagsgesetz quasi vorweggenommen wurde. Notwendig war dieser Schritt, um die von der EU gesetzte Umsetzungsfrist einzuhalten. In anderen Worten: Die EU-Richtlinie wird in Deutschland seit dem 21. August 2011 angewendet, obwohl sie erst durch ein vom Bundestag beschlossenes „Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit“ am 7. Dezember 2011 eingeführt wurde.

So ist also wieder nichts passiert und niemand ist verantwortlich. Der Bundestag war mit anderen Dingen ausgelastet. (Und warum soll man ihn auch mit Dingen beschäftigen, die nicht zu ändern sind und nur umgesetzt werden müssen.) Das Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte ein Rundschreiben, in dem es ausdrücklich auf das laufende Gesetzgebungsverfahren verwies, um die Vorläufigkeit der Anordnung zu unterstreichen. Angewendet wird die Richtlinie trotzdem seit dem 21. August 2011 und das Gesetz gab es dann nachträglich zum 7. Dezember 2011. Das Rundschreiben des Bundeswirtschaftsministeriums verlor trotzdem erst zum 14. Dezember 2011 seine Verbindlichkeit, denn erst zu diesem Datum erlangte das Gesetz des Bundestages Rechtskraft. Erneut einfach durch das Verstreichen der Zeit und einen Tag nach seiner Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt.

Der dritte und letzte Einschnitt – an dem nichts passieren wird – ist nun der 30. Juni 2012. Er markiert die in der EU-Verordnung gesetzte Frist, bis zu der EU-Mitgliedsstaaten die von ihnen erlassenen nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der EU-Richtlinie anwenden müssen. Passieren wird an diesem Datum tatsächlich überhaupt nichts, denn anders als der Wortlaut der Verordnung nahelegt, ist eben nicht der 30. Juni 2012 das entscheidende Datum, sondern die Jahresfrist, die den Mitgliedsstaaten zur Umsetzung gewährt wird. Diese endet nicht Ende Juni, sondern erst am 21. August 2012.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Wie ist es möglich, dass solche Entwicklungen weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit stattfinden und der Europäische Binnenmarkt nun auch den Bereich Rüstung und Verteidigung umfasst? Nun, man könnte die Frage auch abändern und fragen, wer denn letztlich die Verantwortung dafür trägt, dass der Europäische Rüstungsmarkt nun eine Realität ist. Der Bundestag? Das Bundeswirtschaftsministerium? Die Bundesregierung? Das EU-Parlament, dessen Parlamentarier aus den Mitgliedsstaaten entsandt werden? Der EU-Rat, in den die Regierungen der Mitgliedsstaaten ihre Vertreter entsenden? Um es nun doch endlich kurz zu machen: Am Ende ist wahrscheinlich niemand verantwortlich. Gesetzgebung ist ein Verfahren organisierter Verantwortungslosigkeit, das darauf angelegt ist, es unmöglich zu machen, „den“ Verantwortlichen Namen und Gesicht zu geben. Dieses Prinzip liegt rechtsphilosophisch darin begründet, dass niemand anderes als die verstreichende Zeit einem Gesetz zu Rechtskraft verhilft. Verstreichende Zeit ist alles in allem kein Ereignis. Und ein Gesicht hat sie auch nicht. Trotzdem ist der Europäische Binnenmarkt eine Realität. Daran besteht kein Zweifel. Und auch die Schaffung eines Europäischen Rüstungsmarktes nimmt mehr und mehr Gestalt an.

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