Wer Frieden schaffen will, muss die Kriegslogik durch die Friedenslogik ersetzen!
Für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen!
Rede von Jürgen Grässlin
zum Ostermarsch in Freiburg, Platz an der Alten Synagoge
am 6. April 2023, ab 17:00 Uhr
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
vor einem Jahr haben wir uns zum Freiburger Ostermarsch getroffen, um für ein sofortiges Ende des Krieges in der Ukraine einzutreten. Mit Nachdruck haben wir von der russischen Seite gefordert, die völkerrechtswidrige Intervention in der Ukraine sofort zu beenden und den Rückzug anzutreten.
Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des Krieges forderten wir von beiden Seiten, aus der militärischen Logik von Gewalt und Gegengewalt auszusteigen. In diesem Sinne hofften wir darauf, dass die ukrainische Seite Maßnahmen der Zivilen Verteidigung ergreifen möge, um den russischen Aggressoren aktiv entgegenzutreten und dabei ein hundertausendfaches Blutvergießen zu vermeiden. Und wir haben klar Position bezogen: Der Westen muss die Grenzen öffnen für Menschen und die Grenzen schließen für Waffen.
Unsere Forderungen basierten auf den Erfahrungen der Kriegseinsätze in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien und im Jemen. Sie alle weisen eine katastrophale Bilanz auf. Große Landstriche wurden auf Jahre hinaus durch den Einsatz von Kampfpanzern, Militärhelikoptern und Sturmgewehren verwüstet und durch Landminen, Streu- oder Uranmunition unbewohnbar gemacht. Millionen Menschen verloren ihr Leben.
Liebe Friedensfreund*innen: Die traurige Erkenntnis des Krieges in der Ukraine und der weiteren Kriege der Neuzeit ist: Militär löst keine Probleme! Militär ist das Problem!
Nach einem Jahr des martialisch ausgefochtenen Krieges in der Ukraine zeigt sich, was passiert, wenn die Kriegslogik die Oberhand behält. Wenn die Falken und die nicht Tauben das Sagen haben. Dann droht der Ukraine ein vergleichbares Schicksal, wie vielen anderen Ländern, die im 21. Jahrhundert zu Schlachtfeldern verwandelt.
In diesem ersten Kriegsjahr war der Blutzoll auf beiden Seiten immens hoch: Rund 240.000 Menschen, Kämpfer und Zivilist*innen, haben ihr Leben verloren, Hunderttausende weiterer Menschen wurden verstümmelt und verkrüppelt, die allermeisten von ihnen sind traumatisiert.
Nach einem Jahr des Krieges ist ein Drittel des Landes bereits vermint und auf lange Jahre hinaus unbewohnbar gemacht. Hunderte von Dörfern und mehrere Städte, vor allem im Osten des Landes, sind bis auf die Grundmauern völlig zerstört.
Zu Recht schreiben wir in unserem Aufruf zum Freiburger Ostermarsch: „Massive Waffenlieferungen verlängern diese Kriege“ – gemeint sind alle Kriege. Laut Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) der Universität Hamburg toben zurzeit 25 Kriege.
Die Große Koalition und die Ampelregierung haben die Rüstungsexporte insgesamt und in Krisen- und Kriegsgebiete in neue Rekordhöhen geschraubt. Selbst Saudi-Arabien erhält wieder zentrale Bestandteile aus Deutschland – auch von Northrop Grumman LITEF in Freiburg.
Waffenlieferungen verlängern die Kriege. Sie dienen allenfalls den Profiten der Rüstungsindustrie und der Aktionäre der Aktiengesellschaften der industrialisierten Welt. In Deutschland sind das u.a. die Rheinmetall AG, Hensoldt AG, Mercedes Trucks AG sowie Heckler & Koch AG.
Schande über alle Unternehmen in Ost und West, die mit ihren Waffenlieferungen Öl ins Feuer der Kriege und Bürgerkriege gießen!
Was wir in Deutschland brauchen, ist ein neues scharfes Rüstungsexportkontrollgesetz, das der Beihilfe zum Morden ein Ende setzt!
Die „Kooperation für den Frieden“ in Bonn stellt ihrem wichtigen Aufruf zu den diesjährigen Ostermärschen eine wichtige Erkenntnis voraus:
„Aktuell steht die Weltuntergangsuhr des renommierten ‚Bulletin of the Atomic Scientists‘ auf 90 Sekunden vor Zwölf. Daher warnen die Wissenschaftler:innen: Die Welt ist ihrer atomaren Vernichtung so nahe wie noch nie zuvor.“
Warum ist diese Warnung so wichtig? Mehrfach haben der russische Präsident Wladimir Putin und seine Militärs bekundet, dass Russland im Krieg mit der Ukraine auch zum letzten Schritt bereit sein wird. Die Situation wird spätestens dann dramatisch eskalieren, falls Russland konventionell in die Defensive geraten sollte.
Dann wird der abgestufte Gebrauch nuklearer Sprengköpfe folgen: vom Einsatz taktischer Atombomben in dünn besiedelten Gebieten über den gezielten Beschuss von Städten, über den Einsatz von Mittelstreckenraketen in Europa bis hin zu Interkontinentalraketen in West und Ost.
Sowohl Russland als auch die USA mit ihren NATO-Verbündeten Frankreich und Großbritannien besitzen jeweils rund 6300 Atomsprengköpfe. Dank dieser Overkillkapazitäten kann jedes Bakterium theoretisch mehrfach vernichtet werden. Noch nie war die Gefahr eines Dritten Weltkriegs so hoch wie heute.
Die alles entscheidenden Fragen sind: Wann wird die Eskalationsspirale von konventioneller Gewalt und Gegengewalt final in die atomarer Gegengewalt übergehen? Wann wird die Eskalationsspirale unkontrollierbar? Wann wird der Point of no Return erreicht?“
Aus diesem Grunde schreiben wir zu Recht in unserem Aufruf: „Kriege sind durch nichts zu rechtfertigen, erst recht nicht im Zeitalter atomarer Bedrohung, globaler Not und des Klimawandels“!
Ich ergänze: Im Atomzeitalter steht die Existenz der gesamten Menschheit auf dem Spiel. Deshalb fordern wir die Abschaffung aller Atomwaffen!
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
lasst uns den Blick nach vorne wenden. Wer Frieden schaffen will, muss im Rahmen der Friedenslogik bei der Beantwortung folgender Fragen mitwirken:
- Wie kann das Leid der Bevölkerung in der Ukraine gemindert und letztlich gestoppt werden?
- Durch welche Maßnahmen kann die Eskalationsspirale von Gewalt und Gegengewalt schnellstmöglich durchbrochen werden?
- Wie und von wem kann dieser Krieg, der täglich durchschnittlich 1000 Tote fordert, schnellstmöglich beendet werden?
- Wie sehen für alle beteiligten Konfliktparteien tragbare Kompromisse aus?
Wenn ihr diese Fragen an diejenigen richtet, die für die Fortsetzung der Konfliktaustragung mit militärischen Mitteln eintreten, werdet ihr merken: Die Antworten erfolgen meist im Rahmen der Kriegslogik: Den Lieferungen von Kampfpanzern sollen Kampfflugzeuge folgen. Sobald der Armee der Ukraine die ausgebildeten Kämpfer*innen ausgehen, sollen NATO-Soldat*innen eingesetzt werden. Eroberte Gebiete sollen zurückerobert werden.
Und ihr werdet merken: Angesichts fehlender Lösungsansätze wird die Gegenseite polemisch und unsachlich und zuweilen auch aggressiv.
Lasst uns nicht von unserem Weg des Friedens abbringen, der da heißt:
Jedes Waffenstillstandsabkommen und jede Friedensverhandlung ist sinnvoller und rettet mehr Leben, als die Fortführung dieses Vernichtungskrieges.
In diesem Sinne fordern wir einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme umfassender Friedensverhandlungen!
Die Friedenslogik setzt der Unkultur des Krieges die Kultur des Friedens entgegen.
Dazu zählt auch die wissenschaftliche Studie von Erica Chenoweth und Maria J. Stephan „Why Civil Resistance Works“ aus dem Jahr 2011. Die beiden US-amerikanischen Friedensforscherinnen dokumentieren darin, dass der rein zivile Widerstand in der deutlichen Mehrheit der Fälle erfolgreicher und auch, angesichts der meist deutlich begrenzten Zahl menschlicher Opfer, humaner verlaufen ist als der rein militärische.
Das Ergebnis spricht für sich: Gewaltfreier Widerstand führte in doppelt so vielen Fällen zum Erfolg wie gewaltsamer. Um dieses Forschungsergebnis wissenschaftlich zu belegen, hatten Chenoweth und Stephan 323 Aufstände, Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen untersucht. Wohlgemerkt für den Zeitraum der Jahre 1900 bis 2006.
Alles entscheidend, so eine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung Chenoweths, ist die Größe des Aufstands gegen eine Besatzungsmacht. Das Ergebnis ihrer Forschungen: In dem Moment, da sich als 3,5 Prozent der Bevölkerung aktiv zur Wehr setzen, ohne ihrerseits Gewalt anzuwenden, ist der Erfolg in nahezu allen Fällen gewährleistet.
Mit Sozialer Verteidigung hätte das Massenmorden in der Ukraine mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden können. Um damit anzufangen, ist es nie zu spät. Unumgängliche Voraussetzung allerdings ist, dass die Bevölkerung im Land dies mehrheitlich selbst so wünscht. Die Alternative ist der Jahre währende Abnutzungskrieg, alsbald mit mehr als einer Million Tote und der Zerstörung weiter Teile des Landes.
Auch aus diesem Grund wollen wir unser Konzept der „Friedensstadt Freiburg“ in den kommenden Wochen und Monaten breit mit euch und den maßgeblichen Organisationen und Verbänden und Vertreter*innen der Stadt diskutieren.
Wie aber sieht die Lösung aus für den Krieg in der Ukraine?
Entscheidend ist, dass Verhandlungen von neutralen Organisationen und Personen herbeigeführt und geleitet werden. Ich denke dabei allen voran an die Vereinten Nation mit ihrem Generalsekretär António Gutierrez. Er muss die Kriegsparteien und deren Unterstützer auf neutralem Boden zusammenbringen.
Ziel sollte sein, neutrale Zonen zu schaffen und zu überwachen, allen voran im Osten der Ukraine und auf der Krim. Diese müssen über Friedensverträge aller beteiligten Parteien – den Vereinten Nationen, der Ukraine und den USA sowie Russland – auf Dauer abgesichert werden.
Die Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato wäre kontraproduktiv für den dauerhaften Frieden im Osten Europas.
Wir bitten die Vereinten Nationen unter Führung von António Gutierrez, alle Kriegsbeteiligten an den Verhandlungstisch in Wien oder Genf einzuladen!
Wir wollen den Frieden vorbereiten und fordern deshalb: Waffenstillstand sofort! Keine Waffenlieferungen, sondern humanitäre Hilfe und Diplomatie aus Deutschland!
Unser Motto lautet: Die Waffen nieder! Die Kriege beenden! Den Frieden gewinnen!
Jürgen Grässlin,
Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.)
Kontakt: jg@rib-ev.de, graesslin@dfg-vk.de, Mob.: 0170-6113759