Auseinandersetzung um neues Rüstungsexportkontrollgesetz
Von Jürgen Grässlin
Im Sommer 2022 veröffentlichte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) den Rüstungsexportbericht für das Vorjahr.
Das Besondere daran: Nach gewonnener Bundestagswahl wird das Ministerium von Robert Habeck geführt.
Für Rüstungsexporte verantwortlich ist Staatssekretär Sven Giegold, in früheren Zeiten Aktivist bei Attac. Beide vertreten sie Die Grünen.
Klar brachte das BMWK das Exportdesaster der Vorgängerregierung auf den Punkt: Demnach waren 2021 Einzelausfuhrgenehmigungen
(für Waffensysteme, die in einem Jahr exportiert werden) für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Höhe von rund 9,4 Milliarden Euro erteilt werden. „Das ist der historisch höchste jährliche Genehmigungswert“. Im Vorjahr hatte dieser Wert bei ehedem hohen 5,8 Milliarden Euro gelegen.
Hinzugerechnet werden mussten die Sammelausfuhrgenehmigungen (für Exporte an mehrere Empfänger bzw. über mehrere Jahre hinweg).
Diese umfassten ein Volumen von 4,1 Milliarden Euro. Machte summa summarum den dramatischen Genehmigungswert von 13,5 Milliarden Euro.
Besonders folgenschwer war, dass die Vorgänger im Bundessicherheitsrat in den letzten Tagen ihrer Amtszeit
für die militärischen Machthaber im Entwicklungsland Ägypten Kriegswaffenlieferungen im Wert von 4.3 Milliarden Euro genehmigt hatten. Von Abfeuerausrüstungen über Flugkörper und Seeminen bis hin zu Fregatten.
Genau derlei Waffentransfers widersprachen eklatant den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung.
Schließlich war das Regime von Abd al-Fattah as-Sisi durch einen Militärputsch an die Macht gelangt. Seither
unterdrückte das Militärregime Andersdenkende und Andersgläubige mit brutalen Mitteln, Exekutionen wurden
vollzogen. Mehr noch: Seit sechseinhalb Jahren beteiligte sich Ägypten an der von Saudi-Arabien geführten
rechtswidrigen Militäroperation Operation Decisive Storm im Jemen-Krieg.
Und auch die Exportgenehmigungen für 2022 verhießen nichts Gutes.
So hatte die Ampelkoalition bis zum 30. August bereits Waffentransfers im Volumen von 5,2 Milliarden Euro genehmigt.
Wie die soziale Bewegung für ein Kontrollgesetz kämpft. So sollte, so durfte es nicht weitergehen! Genau deshalb setzten wir uns seitens der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ mit unseren weit mehr als 100 Mitgliedsorganisationen mit Nachdruck für ein neues striktes Rüstungsexportkontrollgesetz ein.
Wie dringend dieses Gesetz vonnöten war und ist, legten die Urteile in den Strafprozessen gegen Heckler & Koch und Sig Sauer schonungslos offen. Noch immer können Konzerne als solche nicht verklagt werden, einzig verantwortliche Personen, denen Straftaten nachgewiesen werden können. Gerichtsurteile führten zwar zu Verurteilungen, allerdings mit Haftstrafen auf Bewährung. Auch dann,
wenn Kriegswaffen in gewaltigem Umfang widerrechtlich in Bürgerkriegsgebiete geliefert worden waren.
In enger Absprache mit der Aufschrei-Kampagne legte Greenpeace im April 2021 den 34-seitigen Entwurf „Rüstungsexportkontrollgesetz.
Gesetzesentwurf über ein einheitliches Verfahren, bindende Grundsätze und die Kontrolle über den Export von Rüstungsgütern“ vor.
Nach zahlreichen Podiumsdiskussionen und Off-the-Record-Gesprächen mit Entscheidungsträgern in den jeweiligen Parteien waren die Weichen gestellt. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP wurde festgeschrieben: „Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein.“
Dennoch war Vorsicht geboten: Im „begründeten Einzelfall“ sollten auch weiterhin Kriegswaffen in bedenkliche Länder exportiert werden können.
Schwerpunkt der Grünen war in den vergangenen Jahren die Forderung nach einem Verbandsklagerecht gewesen. Mit diesem Rechtbehelf sollen bestimmte NGOS klagen können, um die Rechtmäßigkeit von Exportgenehmigungen ggf. vor Gericht klären zu lassen. Vorbild waren die rechtlichen Vorgaben im Umwelt- und Behindertenbereich. Alles sollte besser werden, zumal mit Habeck und Giegold nunmehr die Grünen an den Schalthebeln der Macht saßen.
Das Problem: Mit der völkerrechtswidrigen Intervention russischer Truppen in der Ukraine wurde unsere vormals so gute Ausgangslage – mit breiter Zustimmung in der Bevölkerung gegen Waffenexporte in die besonders problematischen Drittländer – seit dem Frühjahr 2022 schlichtweg pulverisiert. Im Rahmen der „Zeitenwende“ bewilligte und bewilligt die Ampelkoalition das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, zudem auch umfassende Waffenlieferungen an die ukrainischen Verteidigungskräfte.
Genau in diesen bewegten Tagen rief das BMWK sowohl die in dem Themenbereich arbeitenden NGOs und Friedensforschungsinstitute als auch die Rüstungsindustrie mit ihren Lobbyverbänden auf: Sie alle sollten ihre Stellungnahmen zum geplanten neuen Rüstungsexportkontrollgesetz einreichen und in folgenden Fachgesprächen vertreten. Für Aktion Aufschrei legten wir beachtliche 30 Änderungs- und Ergänzungsvorschläge vor.
Wir waren uns der Bedeutung dieser Situation vollauf bewusst: Ab der zweiten Hälfte des Jahres 2022 ging es um die Neuregelung der gesamten Rüstungsexportkontrolle. Zumindest auf lange Jahre, vermutlich Jahrzehnte hinaus, sollten die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen für Rüstungsexporte festgeschrieben werden.
Hatten wir nach dem Fachgespräch mit Sven Giegold, Katja Keul und den BMWK-Vertretern noch eine halbwegs positive Einschätzung, so
zeigte sich mit der Veröffentlichung der Eckpunkte für das neue Rüstungsexportkontrollgesetz im Oktober, wohin die Reise gehen sollte. Für Aktion Aufschrei kritisierten wir die Vorlage scharf. Diese bleibe „weit hinter den Erwartungen an eine wirkliche restriktive Exportpraxis zurück, wenn es auch gute Punkte darin gibt“, kommentierte Aufschrei-Sprecherin Christine Hoffmann.
Ich empfand die Eckpunkte des BMWK als „ein Schlag ins Gesicht“ all derer, die jahrelang gemeinsam mit den Grünen als Oppositionspartei für eine wirklich restriktive Rüstungsexportpolitik eingesetzt haben. Mein Vorwurf: „Es ist unglaublich enttäuschend und auch äußerst kurzsichtig, dass ausgerechnet das von den Grünen geführte BMWK das Verbandsklagerecht – für das die Partei jahrelang
gekämpft hat! – fallen lässt.“
Mit Nachdruck forderten wir, das BMWK müsse den Gesetzentwurf dringend nachschärfen und sich dabei gegen die Koalitionspartner SPD und FDP durchsetzen.
Verstärkte Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und zum Morden?
Genau diese desaströse Entwicklung hatte sich bereits Ende September abgezeichnet, als Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner zweitägigen Werbereise für kurzfristige Gasexporte und die langfristige Zulieferung von Wasserstoff aus der Golfregion von Kronprinz Mohammed bin Salman in Saudi-Arabien begrüßt wurde. Von eben dem bin Salman, der laut US-Geheimdiensten den Auftrag zur Ermordung des saudischen Journalisten Khashoggi erteilt hatte und der die Jemen-Kriegskoalition anführte.
Scholz brachte derweil eine frohe Kunde für den Kronprinzen mit. Laut aktuellem Beschluss des Bundessicherheitsrats durften Airbus seine Teilezulieferungen zur Ausrüstung und Bewaffnung sowie auch Munition für die „Eurofighter“ und „Tornado“ wieder aufnehmen. Kampfjets, mit denen die Royal Saudi Airforce seit Jahren nachweislich auch zivile Ziele im Jemen bombardierte und zahlreiche unschuldige Menschen tötete.
Rückendeckung erhielt Scholz von Annalena Baerbock. Es gebe „keine direkten Waffenlieferungen von Deutschland nach Saudi-Arabien“,
so die Bundesaußenministerin. Tatsächlich lieferten die deutschen Konzerne schon immer an Großbritannien zu. Im englischen Warton erfolgt die Endrnontage der Kampfbomber, ehe sie an Ried ausgeliefert werden. „Diese Projekte können wir gerade jetzt
nicht blockieren“, bekräftigte die Grünen-Politikerin. Wohlwissend, dass sie damit höchstpersönlich der Beihilfe zum Morden im Jemen-Krieg zustimmte.
Die Erwartungen an das neue Rüstungsexportkontro“gesetz müssen wohl noch tiefer herabgeschraubt werden. Die neue Leitlinie der Ampelkoalition lautet: Frieden schaffen mit exorbitant viel Exportwaffen. Auch in Krisen- und Kriegsgebiete und nicht einzig zur Verteidigung.
Wie realistisch diese Analyse ist, offenbarte sich in den beiden Fachgesprächen, die das. BMWK mit Vertretern der Friedensbewegung und -forschung sowie der Rüstungsindustrie und deren Lobbyverbänden Ende November in gemeinsamen Runden führte. Ich nahm als Vertreter der DFG-VK an beiden äußerst kontrovers ausgefochtenen Zoom-Meetings teil.
Staatssekretär Giegold moderierte und bezog Stellung, vielfach pro Industrie. Klar formulierte ich die Befürchtung, in seiner jetzigen Vorlage werde das neue Gesetz keinesfalls zueiner Senkung der Rüstungsexporte beitragen, was Giegold bestätigte. Ja, angesichts der Weltlage müsse mit einer weiteren Steigerung gerechnet werden, so der Grünen-Staatssekretär.
Die Büchse der Pandora ist mit dem deutsch-französisch-spanischen Kooperationsvertrag längst geöffnet.
Großwaffensysteme werden in anderen Staaten mit deutschen Bestandteilen endmontiert und von dort aus auf die Schlachtfelder der Welt exportiert werden. Ein Vetorecht soll es nicht geben. Als Rüstungsexportkontrollgesetz gedacht, entpuppt sich der
neue Gesetzesrahmen mehr und mehr als Rüstungsexportförderungsgesetz.
Um das ganze Desaster der Exportgenehmigungen für besonders bedenkliche Drittländer zu kaschieren, sollen bisherige Drittländer in den Rang von Nato-gleichgestellten Staaten erhoben werden. Den Anfang machen Südkorea, Uruguay, Chile und Singapur. In den beiden letztgenannten Ländern verübten staatliche Sicherheitskräfte zuletzt schwere Menschenrechtsverletzungen.
Noch besteht die Chance der Einflussnahme. Die Gesetzesvorlage wird derzeit mit den anderen Ressorts en detail abgesprochen. Nach dem Referentenentwurf wird dann die Debatte im Kabinett folgen, final die Diskussion im Bundestag. Lasst uns seitens der DFG-VK mit der Friedensbewegung alle Hebel in Bewegung setzen, damit tatsächlich ein Kontrollgesetz verabschiedet wird.
Ansonsten wird die Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen und zum Morden verstärkt mit deutschen Waffen bzw. deren Bestandteilen fortgesetzt werden. Es geht um Menschenleben, die Auseinandersetzung muss in den kommenden Monaten unsererseits mit aller Kraft geführt werden.
Jürgen Grässlin ist Mitglied im BundessprecherInnenkreis der DFG-VK
und einer der Sprecher der Kampagne
„Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ «
Quelle: ZivilCourage Nr. 4|22 / 1|23