DAKS-Newsletter Dezember 2014 ist erschienen!

Frohe Weichnachten 2014! – Und bis dahin: einiges über den Rüstungsexportbericht der GKKE, das G36-Gewehr in Mexiko und ein Hintergrundbericht über Graphische Literatur und Krieg.

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NL Dezember 2014

Der GKKE-Rüstungsexportbericht 2014 ist erschienen – und jetzt?

Eine Nachricht und ihre Folgen

Die Veröffentlichung des GKKE-Berichts zog ein großes Medienecho nach sich. Alle großen und viele kleine Zeitungen berichteten darüber, doch so einhellig über den Bericht geschrieben wird, so unterschiedlich werden seine Kernthesen zusammengefasst. Aus Sicht der Frankfurter Allgemeinen etwa hat die GKKE die deutschen Waffenlieferungen in den Nordirak „scharf kritisiert“. Laut Deutschlandfunk zeigte die GKKE „Verständnis […] für die Lieferung von Waffen aus Bundeswehr-Beständen an kurdische Einheiten im Nordirak“. Laut Tagesspiegel bescheinigt der GKKE-Bericht Sigmar Gabriel, „auf dem richtigen Weg“ zu sein und eine Trendwende in der deutschen Rüstungsexportkontrollpolitik herbeizuführen. Dies gelte, da insbesondere der Export von Kleinwaffen rückläufig sei. Laut WAZ kritisiert die GKKE die Bundesregierung, da „eine Trendwende in der Rüstungsexportpolitik noch aus[stehe]“, dabei habe die GKKE dargelegt, dass „die Ausfuhr kleiner und leichterer Waffen […] im vergangenen Jahr mit 69.872 Stück einen neuen Höchstwert“ erreicht habe. Und Neues Deutschland schließlich kommt zu dem Schluss, die Kirchen „kritisieren eine Zunahme der deutschen Rüstungsexporte in Konfliktregionen“.

Nun ist es natürlich nicht ungewöhnlich, dass ein und derselbe Text auf je unterschiedliche Weise gelesen und interpretiert wird. Ein Blick in den GKKE-Bericht zeigt jedoch, dass das Problem nicht nur auf Seite der LeserInnen zu suchen ist, sondern durchaus auch im Text selbst grundgelegt ist.

Das Problem besteht darin, dass die GKKE einerseits beansprucht, als eine Fachgruppe der beiden großen Kirchen in Deutschland zu agieren und dementsprechend die lehramtlichen Positionen der beiden großen Kirchen zu vertreten. Andererseits scheint die GKKE den Positionen, wie sie sowohl von der katholischen Bischofskonferenz als auch vom Rat der EKD im Hinblick auf die Beurteilung von Waffenlieferungen in den Nordirak formuliert worden sind, nur bedingt folgen zu wollen. Das „vorsichtige Verständnis“ (GKKE-Bericht 2014, S. 78), dass die Kirchen für die Lieferung von Waffen an eine Konfliktpartei formuliert haben, mag in ihre jeweiligen „friedensethische[n] Position[en]“ (GKKE-Bericht 2014, S. 78) eingeordnet worden sein, trotzdem hält die „GKKE Fachgruppe […] das gewählte Entscheidungsverfahren, die problematische Auswahl der Waffenempfänger und die Einbeziehung flankierender Maßnahmen für unzulänglich. Sie warnt zudem davor, sich durch unmittelbare emotionale Betroffenheit den Blick auf Handlungsalternativen zu verstellen“. (GKKE-Bericht 2014, S. 80) Durch solche Formulierungen macht sich die GKKE die Einschätzungen von EKD-Rat und Bischofskonferenz weder zu eigen, noch kritisiert sie diese. Die einzige Frage ist, wozu solche „Bewertungen“ (GKKE-Bericht 2014, S. 78) nützen bzw. welchen Schluss soll man als LeserIn aus solchen Abwägungen ziehen?

Im Dschungel ethischer Positionen

So wenig hilfreich die Uneindeutigkeit der Beurteilung sein mag, so ist sie dennoch verständlich, wenn man in Rechnung stellt, dass eine Vielzahl an „Debattenbeiträgen“ (GKKE-Bericht 2014, S. 10) zu begrüßen sind, allerdings nur so lange wie diese nicht durch verschiedene Organisationen ein und derselben Institution vorgetragen werden.

Wenn die GKKE und andere Kirchenvertreter auf die je gleichen ethischen Grundsätze Bezug nehmen, diese interpretieren, auf eine gegebene politische Frage anwenden und zu je unterschiedlichen Einschätzungen gelangen, dann relativiert dies die Plausibilität der im kirchlichen Raum vertretenen ethisch-moralischen Positionen. Diese sind ohnehin schon teilweise schwer zu vermitteln und dies scheint aber in besonderem für die Friedensethik zu gelten.

Die Ursache hierfür liegt in der ethischen Perspektive die für die Bewertungen des GKKE-Berichts grundlegend ist. Anders als der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung, der lediglich die genehmigten Rüstungsexporte des vergangenen Jahres auflistet, bemüht sich der GKKE-Bericht um eine „politisch-ethische Beurteilung“ (GKKE-Bericht 2014, S. 22). Dies ist nur möglich, weil die GKKE eine eigene „ethische Position“ (GKKE-Bericht 2014, S. 22) entwickelt und vertritt. – Und an diesem Punkt fangen die Schwierigkeiten an.

Nachdem der Abschnitt, in dem die „ethische Position“ entwickelt wird, in den vergangenen Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben ist, wurde er in diesem Jahr grundlegend überarbeitet. Begonnen wird nun mit einem naturrechtlichen Einstieg, der ausgehend vom Lebensrecht eines jeden Menschen, den Export von Waffen, die „den Tod von Menschen verursachen können“ (GKKE-Bericht 2014, S. 22) problematisiert. Dabei gilt: Wenn die Weitergabe von Waffen mit der Androhung von Gewalt vergleichbar ist, dann ist ein Rüstungsexport „[n]ur unter speziellen Voraussetzungen und bei extremer Gefahrenlage […] legitim“. (GKKE-Bericht 2014, S. 22)

Ausgehend vom Primat der Menschenwürde bzw. des Lebensrechts, findet die GKKE also nicht zu einer radikal-pazifistischen Haltung, sondern betont, dass das individuelle Recht auf Lebensschutz nur eine relative Gültigkeit besitzt und unter den genannten speziellen Voraussetzungen dem Gemeinwohl bzw. dem kollektiven Lebensschutz nachgeordnet werden darf. Anders ausgedrückt: Frieden ist das Ziel, aber seine „Realisierbarkeit in konkreten Fällen und angesichts von Zielkonflikten“ (GKKE-Bericht 2014, S. 23) muss überprüft werden. Hierzu „sind Optionen und Folgen abzuwägen und Prioritäten zu bestimmen.“ (GKKE-Bericht 2014, S. 23) Es ist vollkommen richtig, dass die schönste Theorie nichts nützt, wenn sie nicht alltagstauglich ist und in der Praxis angewendet werden kann.

Im Fall der GKKE ist jedoch die Frage, ob der Interpretationsspielraum, den sie eröffnet, nicht so groß ist, dass ihre Operationalisierbarkeit nicht mehr gewährleistet ist. So ist es auffallend, wie eng sich eine Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz zur Situation im Mittleren Osten vom 25.8.2014 an den Formulierungen der GKKE orientiert. Auch in diesem Dokument wird die „Lieferung von Waffen an eine im Konflikt befindliche Gruppe“ als eine „[m]ilitärische Maßnahme“ beschrieben und so Waffenhandel in den Kontext der Frage nach Krieg und Frieden gestellt. Die speziellen Voraussetzungen und extremen Gefahrenlagen, von denen die GKKE spricht, werden in dem Dokument der Bischofskonferenz unter Verweis auf die Menschenrechte benannt. Militärische Gewalt und Waffenexporte sind demnach legitim, wenn andernfalls „die Ausrottung ganzer Volksgruppen und massenhafte schwerste Menschenrechtsverletzungen“ drohen. Werden in einer solchen Situation Waffen exportiert, dann entspricht dies „den Grundsätzen der katholischen Lehre über den gerechten Frieden.“ Und die Deutsche Bischofskonferenz äußert „Verständnis für die Entscheidung der deutschen Bundesregierung“, sich an „Maßnahmen zu beteiligen“ um den IS – mit Hilfe von Waffenlieferungen – zu stoppen.

Die GKKE referiert über diese Stellungnahmen und erklärt, sie habe „die Argumente für und gegen diese Waffenlieferung an eine nicht staatliche Konfliktpartei diskutiert“. Sie teile die Einschätzungen hinsichtlich des „Ausmaß[es] der akuten Menschenrechtsverletzungen und der Friedensgefährdung durch den IS“. Sie erkenne die „gute Absicht der Bundesregierung“ und begrüße „die öffentliche Debatte“ (GKKE-Bericht 2014, S. 79). Trotzdem betont die GKKE-Fachgruppe, dass sie „das gewählte Entscheidungsverfahren, die problematische Auswahl der Waffenempfänger und die Einbeziehung flankierender Maßnahmen für unzulänglich“ hält. (GKKE-Bericht 2014, S. 79) Die Fachgruppe gelangt zu der fazit-artigen Feststellung: „Die Unterstützung kurdischer Kämpfer mit deutschen Waffen mag zu rechtfertigen sein […]. Doch scheint die Entscheidung für solche Lieferungen stark von kurzfristigen Überlegungen bestimmt und ist nicht frei von Widersprüchen.“ Und: „Vor diesem Hintergrund betont die GKKE-Fachgruppe mit Nachdruck die Risiken und Gefahren, die von Waffenlieferungen in den Nord-Irak ausgehen.“ (GKKE-Bericht 2014, S. 81)

Die Grenzen ethischer Positionen

Wenn die GKKE und andere Kirchenvertreter auf Grundlage der gleichen ethischen Positionen also tatäschlich zu je unterschiedlichen Einschätzungen gelangen, dann ist diese Situation – bei allem „Respekt vor denen, die sich der Verantwortung stellen“ (GKKE-Bericht 2014, S.23) und sich um eine friedensethische Beurteilung der deutschen Rüstungsexporte bemühen -, in hohem Maße unbefriedigend. Als Resultat dieser Sachlage wurde die Aussageabsicht des GKKE-Berichts mit Unverständnis aufgenommen. So scheint es also, dass eben die Operationalisierbarkeit der friedensethischen Grundsätze derzeit nur eingeschränkt gegeben ist.

Wenn etwas in der Theorie richtig sein mag, aber nicht für die Praxis taugt, dann liegt der Verdacht nahe, dass auch mit der Theorie etwas nicht stimmt. Dieser Verdacht regt sich auch im Fall der GKKE. Und es stimmt, die Position, Krieg sei unethisch, weil in ihm Menschen getötet werden, ist äußerst sympathisch. Allein, diese Herangehensweise scheint nur bedingt geeignet, um Rüstungsexporte zu beurteilen – oder soll das heißen, nicht-lethale Waffen bzw. auch Schutzausrüstung, LKWs etc. dürften problemlos exportiert werden? Wohl kaum. Und deshalb ist eine andere Begründung erforderlich, auch und gerade, um Rüstungsexporte ethisch beurteilen zu können. Und wer weiß, vielleicht würde der GKKE-Bericht unter Zugrundelegung einer solchen anderen ethischen Position dann auch wieder verstanden werden.

Mexiko: G36 und die (un)überschaubaren Folgen

Einen Artikel über die G36-Exporte nach Mexiko zu schreiben, stellt einen vor die Frage, wie man ihn betiteln soll. Er könnte in die Reihe „G36-Schützen“ passen, aber bisher fehlen eindeutige Beweise, dass mit den gelieferten Waffen dieses HK-Typs (immerhin ein Direktexport aus Oberndorf) geschossen wurde und wo und wer damit verletzt wurde. Dass dies geschehen ist, ist angesichts der Bilder, die in den vergangenen Jahren im deutschen Fernsehen zu sehen waren, nicht nur wahrscheinlich, sondern steht eigentlich fest. Aber was genau passiert ist, darüber fehlen die Informationen. Noch. Leider „nur noch“, denn das heißt, das mit den Kriegswaffen dieser Firma wieder Menschen getötet, verletzt oder traumatisiert wurden. Aber „auch noch“, im Sinne einer weiteren Aufklärung über diese Export-„Verbrechen“ (Lieferung in ein Krisen- bzw. Kriegsgebiet!) und im Sinne einer Beweislast, die ein Kleinwaffenexportverbot umso dringender macht.

Doch der Artikel könnte auch eine positiv klingende Überschrift haben. Denn die Berichtlage ist nicht so schlecht, wie man denken könnte. Wolf-Dieter Vogel berichtet in der taz über die Gerichtsprozesse um die Entlassung zweier HK-Angestellter. Hier könnte es zur Aufdeckung weiterer HK-Geschäfte mit mexikanischen Behörden kommen, das ist zumindest zu hoffen. Vogel weist auf einen möglichen Skandal hin: Es könnte sein, dass Heckler & Koch Teile für die angebliche mexikanische Eigenproduktion FX-05 geliefert hat! Hier wird ein weiteres Mal deutlich, welche Bedeutung der Komponenten- und Dual-Use-Güter-Export hat, eben weil nicht kontrolliert bzw. nicht verhindert wird, dass Stahlläufe für Gewehre geliefert werden. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass diese Läufe für die HK-Waffen bestimmt sind. Ein lesenswerter Artikel.

Über den Prozess vor dem Arbeitsgericht Freiburg berichtete für die Badische Zeitung Christian Rath. Für die NRWZ berichtete Martin Himmelheber.

Auch über die traurigen Ereignisse in Mexiko wird berichtet: Auf der Internetseite von Wolf-Dieter Vogel finden sich mehrere Texte, die sich mit der Entführung von 43 Menschen in der Stadt Iguala befassen. Auch zu den Studenten Alexis Herrera Pino und Gabriel Echeverría de Jesús, die bei Protesten im Dezember 2011 in Chilpancingo erschossen wurden, hat Vogel recherchiert. Darum lohnt sich auch hierzu der Blick auf Vogels Internetseite (siehe beispielsweise die beiden Artikel „Gefährliche Exporte“ vom 28.4.2014 und „Waffenexporte: Schüsse in der Grauzone“ vom 28.1.2014).

Und: Die NRWZ berichtete über den nicht unbegründeten Verdacht, dass bei dem Angriff auf Iguala und der Entführung der 43 Menschen G36-Gewehre eingesetzt wurden. Am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, fand außerdem eine Mahnwache bei Heckler & Koch statt.

Berichte gab es weiter von der Deutschen Welle (auch in Englisch und Spanisch) und amerika21.

Carlos A. Pérez Ricart informiert in einer Studie über Lieferungen von Carl Walther und Heckler & Koch nach Mexiko. Diesbezüglich lohnt es sich, auf die im März 2014 vom Verein México vía Berlín e.V. veranstaltete Konferenz „Gewaltsame Abhängigkeiten: Mexiko, Deutschland und der Waffenhandel“ hinzuweisen.

Was muss die Folge dieser gesetzeswidrigen Exporte und der Menschenrechtsbrüche sein? Einer Firma, die derart skrupellos vorgeht, auch gegen eigene Mitarbeiter (die ja „Bauernopfer“ sind), muss eine Regierung, die sich im Rahmen von ATT und europäischen Rüstungsexportdiskussionen als vorbildlich geriert, weitere Genehmigungen komplett versagen. Es geht schließlich um Kriegswaffen. Die ganze Diskussion einer Waffenschenkung an Armeen im Irak und Syrien, wo man Islamisten am Töten Unschuldiger hindern will, wird völlig als Farce entlarvt, wenn man in Mexiko Menschen unwürdig behandelt, indem man dorthin ohne Augenzwinkern Waffen liefert: und zwar an eine korrupte und gewaltbereite Polizei (und letztlich auch an den Schwarzmarkt). Unüberschaubar mag die Faktenlage bei den Opfern sein, ganz klar aber ist die Verantwortung der Unternehmensleitung von Heckler & Koch. Das muss auch einer Staatsanwaltschaft klar sein (oder werden). Gefragt ist aber vor allem die Politik, die zukünftiges Leid verhindern kann, indem den Geschäften der Waffenhändler ein deutlicher Strich durch die Rechnung gemacht wird. Ein Schlussstrich.

Die Bundeswehr kann auch ohne HK leben, sagt auch eine Verteidigungsministerin, und das stimmt bei aller Taktik dieser Phrase. Nur dass die Bundesregierung das ja gar nicht will, sonst wäre man sicher längst auf andere Firmen „umgestiegen“. Stattdessen „kaudert“ man den Waffendealern in Oberndorf hinterher, und lässt sogar Geschäfte nach Saudi-Arabien, Georgien und Libyen zu. Welche Diktatur, welches autoritäre Regime oder welches Kriegsgebiet kommen als nächstes dazu?

Erwähnt werden muss noch die Initiative „Kein Polizeiabkommen“ der Deutschen Menschenrechtskoordination, die über das weiterhin geplante Abkommen Deutschlands mit der mexikanischen (Bundes-)Polizei informiert und ein Nein zu diesem Abkommen fordert.

Und auch im Theater sind Rüstungsexporte und Kleinwaffen ein Thema, etwa in Hans-Werner Kroesingers Stück „Exporting War“, zu sehen im Berliner HAU-Theater.

MILAN-Raketen: Die Atomwaffen der Bundeswehr?

Mit Radioaktivität ist nicht zu spaßen! Inge Höger, die abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag hat dies verstanden und der Bundesregierung Fragen über die „Giftwaffe“ MILAN gestellt. Das Problem, so Inge Höger, besteht darin, dass die MILAN-Raketen „mit thoriumhaltigen Geschossen bestückt sind.“ Die Bundesregierung hat die Kurden mittlerweile über den Sachverhalt informiert und eine Liste mit Schadstoffhinweisen an die kurdische Nationalregierung übermittelt. Die Waffen sind jedoch geliefert und nun, so Inge Höger: „Bleibt zu befürchten, dass die Peschmerga (kurdische Armee im Irak) die Waffen dennoch einsetzen und damit bleibenden Schaden auch für Zivilist*innen anrichtet.“

Leider hat Inge Höger nicht nur recht, sondern liegt mit ihrer Einschätzung gleichzeitig auch völlig falsch. Grundsätzlich stimmt es natürlich, dass in MILAN-Raketen rund 2,4 g radioaktives Thorium enthalten sind. Diese haben aber nichts mit dem Geschoss zu tun, sondern sind im Infrarotsuchkopf enthalten, in jenem Teil also, mit dessen Hilfe der Lenkflugkörper sein Ziel verfolgt. Bei Abschuss und Explosion der Rakete wird das Thorium freigesetzt. Der Schütze wird auf diese Weise genauso einer Stahlenbelastung ausgesetzt wie all jene Menschen, die sich in den nächsten 14,05 Milliarden Jahren im Explosionsgebiet aufhalten.

Dieser Zustand ist seit seit einiger Zeit bekannt. Etwa der Focus berichtetete bereits im Jahr 2001 über das Problem und IPPNW forderte am 7. Oktober 2014 in einer Presseerklärung den „Export der radioaktiven Panzerabwehrrakete Milan“ zurückzunehmen.

Dennoch sollte man die Sache etwas differenzierter betrachten. Es stimmt, Thorium kann zu gesundheitlichen Problemen führen. Vor allem dann, wenn es eingeatmet wird und in die Lunge gelangt. Trotzdem ist es verfehlt zu behaupten, die MILAN-Rakete sei quasi eine Atomwaffe. Und genau das suggerieren sowohl die Bundestagsabgeordnete Inge Höger als auch IPPNW in ihrer Pressemitteilung.

Eine andere Sache ist die Menge des in den MILAN-Raketen enthaltenen radioaktiven Materials. 2,4 g pro Rakete mögen nicht viel sein, da die Bundesregierung jedoch angekündigt hat, bis zu 500 Raketen in den Nord-Irak zu schicken, summiert sich die Thorium-Menge auf bis zu 1,2 kg. Um die Gefährlichkeit der MILAN-Raketen zu belegen, verweist IPPNW auf Untersuchungen, die auf dem Gelände der Militärbasis Shilo in Manitoba (Kanada) und auf dem Übungsplatz von Salto di Quirra in Sardinien (Italien) stattgefunden haben. Dort wurde mit MILAN-Raketen geübt und dort wurde jeweils ein erhöhter Gehalt von Thorium 232 nachgewiesen.

Dieser Nachweis ist alles in allem jedoch nicht überraschend. Etwa auf dem Übungsgelände von Salto di Quira sollen Darstellungen zufolge bis zu 1184 MILAN-Raketen abgefeuert worden sein, mehr als doppelt so viel wie insgesamt an die Kurdische Regionalregierung geliefert werden sollen. Der Einsatz erfolgte dabei nicht verstreut über das gesamte Gelände des Platzes sondern eher punktuell, an einzelnen Schießbahnen. Die insgesamt etwa 2,8 kg Thorium, die im Verlauf des mehrere Jahrzehnte dauernden Testbetriebs freigesetzt wurden, liegen so verhältnismäßig konzentriert vor und die Kontamination von z. B. grasenden Schafen ist möglich, wenn sie an diesen Orten zur Weide geführt werden. Nun ist zu vermuten, dass die MILAN-Raketen im Nordirak nicht alle am gleichen Ort abgeschossen werden. Und deshalb lässt sich tatsächlich streiten, ob es wahrscheinlich ist, dass die Verwendung von MILAN-Raketen im Kampfeinsatz zu einer Umweltgefährdung durch radioaktive Strahlung führt.

Dabei ist auch zu bedenken, dass Thorium, anders als etwa Plutonium, ein natürliches Element ist, das in der Erdkruste vorkommt und in Spuren etwa auch in Steinkohle vorkommt. Bei der Verbrennung von Kohle wird Thorium dann auf mehr oder weniger natürlichem Weg freigesetzt. Das macht die Sache natürlich nicht besser, sondern spricht lediglich dafür, Kohlekraftwerke nur mit Filteranlagen zu betreiben und diese dann später als Sondermüll zu entsorgen. Trotzdem kann gefragt werden, ob die Gefährdung, die durch die Freisetzung von 2,4 g Thorium ausgeht, wirklich so gravierend ist. Geht die eigentliche Gefahr nicht doch vom 2,7 kg schweren Gefechtskopf der Rakete aus, der voller Sprengstoff ist und eine Panzerung von bis zu 70cm durchschlagen kann?

Um es noch anders zu fassen: Die Bundesregierung hat angekündigt, nicht nur MILAN-Raketen, sondern auch Kleinwaffen-Munition in den Nordirak zu liefern. Dies betrifft bis zu 3 Millionen Schuss im Kaliber 7,62×51 NATO (2 Millionen für das Schnellfeuergewehr G3 und 1 Million für das Maschinengewehr MG3) und bis zu 4 Millionen Schuss im Kaliber 5,56×45 NATO (für das Schnellfeuergewehr G36). Jedes einzelne Geschoss wiegt rund 3,6 g (im Fall der 5,56×45 NATO) bzw. rund 10 g (im Fall der 7,62×51 NATO). Dies summiert sich auf ein Gewicht von zusammen rund 45 t. Die Geschosse von Kleinwaffen-Munition enthalten zu großen Teilen das Schwermetall Blei. Gelangt dieses ins Erdreich oder sogar ins Grundwasser, kann es Menschen und Umwelt schädigen. Eine Studie des BITS verweist darauf, dass eine Untersuchung auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz von Wildflecken (Rhön) eine Konzentration von 493 Milligramm Blei pro Kilogramm Erdmasse ergeben hat. Die geltenden Grenzwerte von 100 Milligramm wurden damit um das Fünffache überschritten. Und das ist kein Einzelfall. Die Umweltgefahren sind also hinlänglich bekannt. Trotzdem wurde in der Schadstoff-Liste, die das Verteidigungsministerium an die kurdische Nationalregierung übermittelt hat, diese potentielle Umweltgefährdung durch das Schwermetall Blei mit keinem Wort erwähnt.

Und das zu Recht. Rüstungsexporte in den Nordirak stellen nicht deshalb ein Problem dar, weil durch sie die Umwelt geschädigt wird, sondern weil durch sie Menschen sterben. Auch Unbeteiligte, auch Zivilisten.

Die Süddeutsche Zeitung verweist darauf, dass sich die Truppenstärke des IS nur schätzen lässt. Die CIA rechnet demzufolge mit bis zu 31.500 Kämpfern, während andere Schätzungen von bis zu 50.000 Kämpfern allein in Syrien sprechen. Selbst wenn man nun von 100.000 IS-Kämpfern ausgehen würde, so genügt die allein von der Bundeswehr zur Verfügung gestellte Menge an Munition, um jeden einelnen IS-Kämpfer 700 Mal zu erschießen. Natürlich wird nicht jeder einzelne Schuss treffen. Deshalb ist vollkommen klar, dass die kurdische Regierung im Nordirak tatsächlich so viel Munition benötigt wie von der Bundeswehr geliefert. Andererseits, besteht nicht doch die Gefahr, dass durch den einen oder anderen Fehlschuss auch der eine oder andere Zivilist sterben wird? Und – ist das nicht das eigentliche Problem von Waffenexporten?

Konflikte und Kriege in der Grafischen Literatur

Erläuterungen zum Medium und Vorstellung von fünf Bildgeschichten

Erst möchte ich etwas in das Medium einführen. Comic – der gängigste Begriff, der aber auch die meisten Missverständnisse hervorruft, wurde erstmalig im Jahr 1929 in der US-amerikanischen Presse verwendet. Er umschrieb die kleinen Bildfolgen mit Witzbildern, die dann zu „Comicstrips“ wurden. Der Begriff stand dann in den 50ern auch für längere Bildgeschichten und wurde in dem US-amerikanisch dominierten Nachkriegsdeutschland kritiklos übernommen. In Ländern mit einer eigenen Tradition im Umgang mit der Bildgeschichte entstanden Umschreibungen wie „Bande Dessinée“ (gestaltete Streifen / Frankreich, Belgien), „Manga“ (viele Bilder, Japan), „Historietas“ (kleine Geschichten, Argentinien) und „Fumettos“ (Sprechblasen, Italien). „Comic“ verstehen bei uns viele auch als karikaturistisches Einzelbild. In Radio und Fernsehen wird „Comic“ häufig für witzige, slapstickartige Einzelszenen gebraucht. Bei dieser breitgefächerten Definierbarkeit sahen sich Experten und Verlage in den letzten Jahren genötigt, mit der Bezeichnung „Graphic Novel“ das Genre genauer zu benennen. „Graphic Novel“ war der US-amerikanischen Zeichner-Legende Will Eisner schon in den 70er Jahren eingefallen, weil er in seinen Bildgeschichten aus der Bronx nichts Witziges entdecken konnte. In der Fachpresse ist häufig von „Grafischer Literatur“ oder schlicht „Bildgeschichte“ die Rede. Viele Experten sehen das Medium in einer mehrere Jahrtausende alten Tradition der Bildgeschichte, der Weitergabe bildlicher Information. Gerade weil der Grafischen Literatur in Deutschland immer noch die angebrachte Würdigung versagt bleibt, sollte man sie nicht auf die Funktion eines rein pädagogisch einsetzbaren Hilfsmittels oder auf eine interessante Adaption einer populären Romanvorlage reduzieren. Das Medium hat seit Beginn des 20. Jahrhunderts beginnend mit den einzigartigen jugendstilgeprägten Fantasy-Geschichten von Windsor McCay permanent eigene bedeutende Werke hervorgebracht. Die Bildgeschichte setzt schriftstellerisches, kreatives und grafisch-zeichnerisches Potential voraus. Häufig vereint eine Person diese Fertigkeiten, oft stehen auch zwei oder mehrere Personen für „geniale Ergebnisse“. Einige herausragende Könner des Genres seien noch genannt: Uderzo, Goscinny, Giraud, Hermann, Derib, Ross, Miller, Loisl, Manara, Peters, Schuiten, Franquin, Frei, Puck, Moebius…

In fast allen Bänden, die ich in der Folge vorstelle, kommen die USA vor. Eine Weltmacht mit großem Aggressionspotential ausgestattet und immer bemüht, ihre Kriege als gerecht, die Freiheit (des Konsums) verteidigend und gegen den internationalen Terrorismus gerichtet zu etikettieren. Interessante Einblicke in Mentalität und Geschichte der Vereinigten Staaten gibt der 92-seitige, 1998 erschienene Band mit dem Titel „US“. Die Abkürzung steht für Uncle Sam. Sam ist die personifizierte, von Kriegen geprägte Geschichte der USA. Der alte, verwahrlost wirkende Greis führt den Betrachter durch einige unrühmliche Momente seiner Vergangenheit. Sam wechselt permanent zwischen Realität und Erinnerung, wobei meistens verschiedene Orte oder Ereignisse der Gegenwart Impulse für die Rückschau sind. Herausragende Stationen sind die Versklavung der afrikanischen Minderheit und der Genozid an den Ureinwohnern. Bei den vielen geschichtsträchtigen Namen (Shay, Coolidge, Ardoin), die genannt werden, kommt man ohne Recherche nicht aus. Mit den prägnanten Bildern und der beeindruckenden Seitengestaltung von Alex Ross und dem abwechslungsreichen Szenario von Steve Darnall ist der Band ein herausragendes Stück Bildgeschichte.

Der selbsternannte Weltpolizist kommt auch in den vier unterhaltsamen Kurzgeschichten des Spaniers Luis Garcia vor. Garcia, der seit den 70ern in den USA lebt, hat in beeindruckenden, in Schwarz-Weiß gehaltenen Sequenzen die Widerstandsgeschichte der Häuptlinge Tecumtha und Crazy Horse dokumentiert. Kriegsschauplätze wie „Little Big Horn“ und „Wounded Knee“ kommen vor. In einer weiteren Darstellung klagen Vertreter der Ureinwohner die von Gier und Macht geprägte Mentalität des „weißen Mannes“ an. Die letzte Geschichte behandelt das Bataillon von St. Patrick. Hier solidarisiert sich eine Gruppe von Soldaten mit dem mexikanischen Widerstand gegen die Expansionsbestrebungen der USA. Die kurzen Bildgeschichten mit insgesamt 43 Seiten erschienen im Jahre 1981 in der Comiczeitschrift „Pilot“ (Nr. 1-7), einer Adaption des legendären französischen Magazins „Pilote“ (1959 mit den ersten Asterix-Seiten).

Gleich zwei Bände behandeln die Revolution von 1979 in Nicaragua. Der deutsch-spanische Zeichner Manfred Sommer benutzt in seiner 50-seitigen Bildgeschichte von 1985 den Journalisten Frank Cappa für eine kritische und spannende Aufarbeitung der Somoza-Diktatur, aber auch für die kritische Betrachtung des bewaffneten Widerstands. In „Somoza und Gomorra“ begleitet Cappa die sandinistische Widerstandsgruppe um Comandante Alphonso. Er beschreibt „den Alltag“, der aus Gegensätzen wie dem blutigen Kampf mit dem Militär und der innigen Liebesbeziehung von German und Violeta besteht. Der Plot ist vielschichtig aufgebaut und beinhaltet den Dialog zwischen Cappa und Alphonso, die Entwicklung der Liebesbeziehung und die Darstellung einer Kampfmethode. Die gekonnt schattierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind zu interessanten Seitenkompositionen zusammengefügt und verleihen der Handlung eine ideale Optik.

Auch der französische Zeichner Emmanuel Lepage begibt sich in seinem 158-seitigen Band mit dem Titel „Muchacho“ von 2008 in die Tiefen des nicaraguanischen Urwalds. Sein Protagonist heißt Gabriel de la Serna und ist ein junger, aus einem reichen, dem Diktator gewogenen Hause stammender Priesteranwärter. Er soll im Dschungeldorf San Juan den Innenraum der Kirche malerisch verschönern. Hier trifft er auf einige den Sandinisten zugewandte Dorfbewohner. Zwangsläufig ist er Zeuge von Schikanen durch das Militär. Als das Militär das Dorf niederbrennt, schließt sich de la Serna einer sandinistischen Revolutionsgruppe an. Die Geschichte lebt von der Person de la Serna. Er durchläuft verschiedene Bewusstseinsebenen, kämpft gegen innere Widersprüche und geht im Untergrund eine homosexuelle Beziehung ein. Die detaillierten Bilder sind virtuos und dezent aquarelliert und werten die Geschichte zusätzlich auf.

„Der rote Baron“ ist der Titel eines 106-seitigen Bandes von dem US-Amerikaner George Pratt. In der Bildgeschichte von 1990 geht es um einen reizvollen Generationendialog. Der amerikanische Journalist und Vietnamveteran Mannock besucht den „Fliegerhelden“ aus dem ersten Weltkrieg von Hammer für ein Interview in einem Sanatorium auf der Insel Föhr. In diesem in mehreren Phasen stattfindenden Gespräch kristallisiert sich heraus, dass Krieg nie eine Lösung darstellt und dass viele Beteiligte ein Leben lang traumatisiert sind und sich die Eindrücke nicht vollständig verarbeiten lassen. Geschildert wird das US-Massaker von My Lai genauso wie die versöhnliche weihnachtliche Begegnung von deutschen, französischen und britischen Soldaten im ersten Kriegswinter des Jahres 1914. Mit herrlich aquarellierten Bildern gelingt es dem Zeichner diese Welt des Wahnsinns zu vermitteln.

Gerhard Mauch, Fan der Bildgeschichte und Zeichner im Dezember 2014

www.fechenbach.de/ws/mauch.htm

„Muchacho“ ist wahrscheinlich der einzige Band, der noch im Buchhandel erhältlich ist.

+ Alle beschriebenen Bildgeschichten sind über das Antiquariat des Versandhändlers „Sammlerecke“ erhältlich.

0711-315484-0, info@sammlerecke.de, www.sammlerecke.de

+ Ein weiterer Versandhändler ist die „Bremer Comicmafia“, die nicht alle, aber ein paar der genannten Bildgeschichten führt. 0421-5360636, info@comicmafia.de, www.comicmafia.de

+ Aber auch Ausleihe ist möglich. Mein Bestand umfasst ca. 800 Bände, Bücher, Hefte der Grafischen Literatur. Ich habe Ausstellungen zu Themen wie „Süd-Nord“, „Menschenrechte“, „Religionen, Rituale“, „Rassismus“, „Western von gestern“ zusammengestellt. Dazu gibt es kleine Kataloge mit Kurzbeschreibungen. Wenn Sie hochwertige Bildgeschichten probelesen möchten, melden Sie sich bei: Gerhard Mauch, 0741-1757903, Mail: gischbl06@yahoo.de

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