DAKS-Newsletter November 2017 ist erschienen!

Durch das Scheitern der Koalitionsverhandlungen drohen Neuwahlen – und es wächst die Hoffnung, dass durch solche das Thema Rüstungsexport in einem eventuellen, neuen Bundestag stärker vertreten sein könnte, als aktuell.

Während dies alles jedoch noch Zukunftsmusik ist, gibt es in der Friedensbewegung schon jetzt Erfolge zu feiern: in Lahr/Schwarzwald wurde die geplante Ansiedlung einer Munitionsfabrik durch das Engagement des Friedensforum Lahr verhindert. Dieser große Erfolg muss gefeiert werden und deshalb lädt das Friedensforum zu einem Fest. – Mehr dazu im neuen Newsletter!

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DAKS-Newsletter November 2017

Keine Munitionsfabrik in Lahr/Schwarzwald

Die Firma Saltech stellt Munition für Kleine und Leichte Waffen her. Das Produktangebot umfasst Patronen im Kaliber 12,7 x 99 mm NATO, aber auch Granaten im Kaliber 40 x 53 mm. Um den deutschen und europäischen Markt für diese Munition besser bedienen zu können plante das Rüstungsunternehmen die Eröffnung eines Standorts in der Kreisstadt Lahr/Schwarzwald. Die Stadt such seit langem Firmen die bereit sind das Gelände des ehemaligen NATO-Flughafens zu beleben. 130 Firmen mit rund 3400 Beschäftigten haben sich bereits im Businesspark startkLahr angesiedelt – nun sollte auch noch Saltech dazu kommen.

Gegen diese Pläne protestierte das Friedensforum Lahr. Es organisierte eine Unterschriftenaktion, suchte weitere Unterstützer für den Protest und leistete Lobbyarbeit im Gemeinderat. Und der Erfolg dieser Arbeit ist beeindruckend, denn mittlerweile hat der Gemeinderat der Stadt mit einer klaren Mehrheit von 20 zu 13 Stimmen beschlossen, die Ansiedlung des Rüstungsunternehmens abzulehnen und auf Arbeitsplätze wie Gewerbesteuer zu verzichten. Das ist ein beeindruckender Erfolg der Mut macht, weil er zeigt, dass Engagement gegen den Krieg manchmal auch Erfolg haben kann. Ein klarer Grund zu feiern also!

Friedensforum bedankt sich und lädt zu Fest ein

Presseerklärung des Friedensforums Lahr

Für das Friedensforum Lahr bedeutet die Abstimmung am Montag im Gemeinderat mit einer unerwartet hohen Zahl von 20 Stimmen gegen die Ansiedlung einer Munitionsfabrik auf dem IGZ-Areal einen „Riesen-Erfolg“. Die Mitglieder des Friedensforums sind hoch erfreut und sehen sich in ihrer Arbeit bestärkt.

Seit dem Veröffentlichen ihrer Resolution Anfang Juni konnten sie nach und nach immer mehr Zustimmung zu ihren Argumenten verzeichnen. Dies zeigte sich nicht nur an der stetig wachsenden Zahl von Lahrerinnen und Lahrern, die sich mit ihrem Namen öffentlich zur Resolution des Friedensforums bekannten, sondern auch mit den Stellungnahmen aus dem Parteien-Spektrum, die mit dem Bekenntnis des Lahrer SPD-Ortsverbands am 3. Juli ihren Anfang nahmen.

Bedanken möchte sich das Friedensforum an erster Stelle bei den vielen MitbürgerInnen, die aus eigener Initiative heraus die Namen weiterer UnterstützerInnen auf den Listen mit der Resolution des Friedensforums sammelten. Es zeigte sich bald, daß dies viel schwerer wog, als die herkömmlichen Unterschriftenlisten, bei denen oft jeder zweite Eintrag unleserlich ist. Der Dank gilt auch der Hilfe vieler Laden-Geschäfte und Arztpraxen, wo die Listen des Friedensforums ausgelegt werden durften. Besonders freuten sich die Mitglieder des Friedensforums über die Beiträge aus den Reihen der Friedensbewegung, den informativen Vortrag Jürgen Grässlins am 14. September, die Unterstützung der DFG/VK, die ihr Friedens-Mobil für einen Info-Stand am 20. September zur Verfügung stellte, die Recherchen zum Schweizer Rüstungs-Unternehmen Saltech und zu den über 120 baden-württembergischen Rüstungs-Unternehmen durch die Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen, das Rüstungsinformationsbüro (RIB) in Freiburg und das Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) in Berlin. Dankbar war das Friedenforum für die Unterstützung durch Pfarrer Walter Schwehr von katholischer Seite und von Pfarrer Frank Schleifer von evangelischer Seite, die ihrerseits weitere Kreise in den Kirchen zog. Neben den Mitgliedern der drei Fraktionen im Lahrer Gemeinderat, die geschlossen gegen die Ansiedlung einer Munitionsfabrik stimmten, gilt der Dank des Friedensforums ausdrücklich auch den jeweils drei GemeinderätInnen aus den Reihen von CDU und FWV, die am Montag für das fulminante Resultat von 20 zu 13 Stimmen entscheidend waren.

Das Friedensforum möchte den Erfolg mit einem „Fest ohne Munition“ feiern – unter dem Motto: „Bei uns knallen nur die Sektkorken!“ Hierzu sind alle eingeladen, die sich über das Ergebnis vom Montag freuen, am Freitag, 17. November, 20 Uhr, ins rühr.werk auf dem Zeit-Areal (ehemalige Rothändle-Fabrik) zu kommen.

Heckler & Koch: Auftrag vom Kommando Spezialkräfte

Stolz verkündete das Unternehmen Mitte Oktober auf seiner Website, dass ein – wenn man denn so will – prestigeträchtiger Auftrag an Land gezogen werden konnte: die Ausstattung des ohne demokratische Kontrolle agierenden KSK (Kommando Spezialkräfte) und auch des Kommando Spezialkräfte der Marine. Waffe der Wahl war hier das HK416 A7 (geplante Bundeswehrbezeichnung G95), eingeführt werden soll es nach Firmeninformation voraussichtlich Anfang 2019, ab diesem November laufen wohl die Tests. Bisher sei bei diesen „Spezialkräften“ (wie gesagt, im Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit) das G36K als Standardwaffe im Einsatz gewesen. Das Kaliber bleibt das gleiche, NATO 5,56 mm x 45, einige Details sind natürlich auf „attraktive Weise“ anders, doch das ist nicht, was am Ende zählt: Denn wer mitteilen darf, 1.745 Gewehre an Spezialkräfte zu liefern, macht allen gute Laune, den Marineangehörigen inklusive Ver(t)eidigungsministerin, der Waffenindustrie, weil es keine ausländische Waffe ist, den Waffen-Gewerkschaften, weil gute Presse (denn hier werden ja die „Guten“ bedient) die Arbeitsplätze ein Stück sicherer macht, aber vor allem sich selbst, denn damit macht HK ein Stück Boden gut gegenüber den Mitbewerbern im Rennen um die Standardwaffe für die ganze Truppe, den G36-Nachfolger. Nun erscheinen die HK416-Entwicklungen einmal mehr als die kommenden Waffentypen der deutschen Soldaten, etwa das HK433. Und die Oberndorfer bleiben damit erstmal weiter Hoflieferant. Und wenn sie jetzt noch verkünden bzw. „garantieren“, dass die Waffe nur aus deutscher Produktion kommt (zumindest erstmal, bis die US-Amerikaner sie für gut befinden?), dann muss man wahrscheinlich den 3. Oktober wiederholen, so schön wird das. Die zwei ernsten Fragen zum Schluss: An wen wird diese Waffe auch verkauft, vor allem nach dem Werbeeffekt? Wann wird das KSK aufgelöst bzw. wann werden dessen Verbrechen aufgeklärt?

Small Arms Survey: „Update“-Publikation zum weltweiten Kleinwaffenhandel

Unter dem Titel „Trade Update 2017: Out of the Shadows“ ist beim Small Arms Survey (angesiedelt beim Graduate Institute of International and Development Studies, Genf) im September eine Studie zum weltweiten Handel mit Kleinen und Leichten Waffen (SALW) erschienen (mit G36- und MP5-Darstellungen in der Titelcollage). Die AutorInnen sind Paul Holtom, der vier Jahre Direktor des Forschungsbereichs Waffenhandel bei SIPRI war und auch bei den Vereinten Nationen als Berater gearbeitet hat, und Irene Pavesi, die seit 2012 für das „Small Arms Trade Transparency Barometer“ und die „Small Arms Survey Database on Violent Deaths“ verantwortlich ist. Die 90-seitige Studie möchte einen Überblick über den Handel im Jahr 2014 geben, es werden Hauptexporteure und -importeure aufgelistet und die Entwicklung des Kleinwaffengeschäfts in den Jahren 2013 – 2014 diskutiert. Außerdem enthält die Studie die aktuelle Ausgabe jenes Transparenz-Barometers, das die wichtigsten Lieferländer nach ihrer Daten-Transparenz beim Waffenhandel bewertet.

Als zentrale Forschungsergebnisse nennt der Small Arms Survey unter anderem, dass diese Länder im Jahr 2014 die größten Exporteure (hier als Staaten mit jährlich mindestens 100 Mio. US-Dollar an Ausfuhrwert definiert) waren: die USA „vorneweg“, gefolgt von Italien, Brasilien, Deutschland, Südkorea, Österreich, der Türkei, der Russischen Föderation, der Tschechischen Republik, Belgien, Kroatien, Israel, Spanien, der Schweiz und Japan. Brasilien sei mit mehr als 500 US-Dollar Exportwert sozusagen in diesen edlen Klub aufgestiegen.

Bei den Hauptimportländern, die ebenfalls die 100-Millionen-Marke zu knacken haben, stehen wiederum – obwohl im Vergleich zum Vorjahr 2013 an Importkraft um 0,3 Milliarden „leicht“ auf 2,2 Milliarden US-Dollar gesunken – die USA an erster Stelle (hier muss der „zivile“ Inlandsmarkt berücksichtigt werden). Weiter listet die Studie diese Staaten auf: Kanada, Indonesien, Saudi-Arabien, Deutschland, Australien, den Irak, Frankreich, die Niederlande und das Vereinigte Königreich.

Die AutorInnen führen weiter aus, dass der international Handel mit Kleinwaffen im beobachteten Jahr mindestens 6 Milliarden US-Dollar umfasst habe, wobei Munitionstransfers 38 Prozent dieser Summe einnehmen. Ingesamt habe sich der Wert militärischer Schusswaffenlieferungen von 2013 zu 2014 um satte 49 Prozent gesteigert und liege nun bei 708 Millionen (wobei sicherlich noch über Komponentengeschäfte und angeblich für den „zivilen“ Markt produzierte Waffen gesprochen werden muss). Dagegen habe der Transferwert von Pistolen und Revolvern um 16 Prozent abgenommen.

Das Transparenz-Barometer sieht Deutschland, die Schweiz, die Niederlande und auch Serbien als die transparentesten Hauptwaffenexportstaaten, was den betreffenden Regierungen sicher gut gefallen wird und den entsprechenden exportschuldigen Firmen und Managern ebenso. Iran, Israel, Nordkorea, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen dafür auf der Negativliste, was die vom Small Arms Survey ermittelte Exporttransparenz betrifft.

Nun sind unter den Rechercheergebnissen keine wirklichen Überraschungen dabei – die „bösen“ Saudis, die VAE und der Iran bekommen den Preis, den sie bei ihren skrupellosen Geschäftspraktiken verdient haben (Nordkorea wird als Waffenexporteur hervorgehoben), und Klassenprimus Deutschland kann sich wieder auf dem Siegerpodest sonnen und bekommt von links einen Kuss vom Militär und von rechts einen von der Waffenindustrie – als ob es Heckler & Koch nie gegeben hätte. Immerhin heißt es im Text (auf S. 72): „It appears, however, that some of the materiel [unter Lizenz produzierte Kleinwaffen und Munition] has been exported in violation of this condition. Germany reportedly put on hold the supply of parts and components for the production of G36 rifles in Saudi Arabia due to concerns that the country had supplied G3 rifles it had produced under licence to Yemen, in violation of assurances that these arms would only be used by Saudi forces (Mascolo and Baars, 2015; Shalal, 2016). As there is little information on exports of small arms produced under licence in Saudi Arabia, it is not possible to estimate their value.“ Aber das führt auch nicht wirklich weiter.

Trotzdem lohnt es sich natürlich, sich die einzelne Daten in der Studie genauer anzuschauen, beispielsweise das kurze Kapitel zu Trends des Waffenhandels in Afrika (S. 24-27), wo Waffenarten wie Sportgewehre, Faustfeuerwaffen, sogenannte Leichte Waffen und auch Munition „im Aufschwung“ sind, während sich „militärische Schusswaffen“ (gemeint sind hier ja hauptsächlich Langwaffen wie die M16-„Familie“, das FN FAL, das G3 und natürlich die AK-Versionen) eher auf einer sinkenden Kurve befinden. Das kann natürlich auch einfach damit zu tun haben, dass man eben Munition immer nachkaufen muss, während das Gewehr eine schreckliche lange Weile hält und tötet. Und exportiert wurden diese automatischen Gewehre ja im traurigen Sinne ausreichend – der Transparenzsieger lässt grüßen. Und ein regionaler Trend: Die nordafrikanischen Staaten kaufen mehr als der Rest des Kontinents, was nicht heißt, dass die Waffen später nicht weiter nach Süden wandern.

In den Schlussbemerkungen (auf S. 76) wird die Wirkung des ATT (Arms Trade Treaty) auf die Transparenz gelobt. Und am Ende wird fast nebenbei behauptet, dass einige der intransparenten Waffendeals aber auch gut sein könnten, um etwa in Nordafrika terroristische Gruppierungen zu bekämpfen. Ist das so?

Monitor-Sendung: Stellung deutscher Kleinwaffenfirmen in den USA

Waffen vor Ort in den USA zu bauen, hat heutzutage den wichtigen Vorteil, dass man direkt bei den KundInnen ist. Die Firmen verkaufen aber nicht nur Waffen, ihre Waffen werden auch bei Massakern und Amokläufen benutzt und mit ihnen werden Menschen getötet, vor kurzem erst in Las Vegas. Heckler & Koch mache, so der WDR-Bericht, 40 Prozent seines Gesamtumsatzes mit dem US-Geschäft. SIG Sauer ist ebenfalls auf dem US-Markt präsent und dort, wie ihre schwäbischen Kollegen, nicht mehr wegzudenken. Und die Sendung zeigt: Die deutschen Firmen unterstützen die Waffenlobby-Organisationen NRA und NSSF mit großen Geldspenden, d. h. sie sind auch mitverantwortlich für ein Waffenrecht, das den Kunden in vielen Bundesstaaten Zugang zu allzu gefährlichen Kriegswaffen ermöglicht, wie auch Jan van Aken klarstellt. Jürgen Grässlin sagt im Interview, dass die Einordnung der USA als grünes Land „weltfremd“ sei, angesichts von Schulschießereien und anderen extremen Gewalttaten. (Man könnte noch die Re-Exporte aus den USA in Krisengebiete ergänzen.) AutorInnen der Reportage mit dem Titel „Waffen bauen, Einfluss nehmen: deutsche Waffenfabrikanten in den USA“ sind Stephan Stuchlik, Lutz Polanz, Shafagh Laghai und BITS-Direktor Otfried Nassauer.

BICC-Jahresbericht 2017 erschienen

Im Oktober ist der diesjährige BICC-Jahresbericht (Annual Report) vorgestellt worden. Darin werden Länder wie Syrien, Irak, Afghanistan, Südsudan und auch die Donbass-Region in der Ukraine betrachtet. Die Kontrolle von Kleinwaffen, z. B. in afrikanischen Staaten, wird begleitet und analysiert (erwähnt werden, mit Zahlen des BMWi, beispielsweise deutsche Kriegsmaterialexporte nach Libyen). Außerdem geht es in dem Band um die Motive und die Kampfweisen von Gewaltakteuren, beispielsweise in Irakisch-Kurdistan, im Donbass und auch in Afghanistan. Auch über die Lage von Flüchtlingen in Camps und auf Fluchtrouten wird berichtet, wie Conrad Schetter, Forschungsdirektor bei BICC, in der Pressemitteilung betont.

Schweizer Waffenexporte bei über 250 Millionen Franken

Insgesamt wurden von Januar bis September 2017 für über 250 Millionen Franken Waffen ins Ausland exportiert, davon ungefähr 8,5 Millionen in den Nahen und Mittleren Osten. Die GSoA verlangt einen sofortigen Exportstopp in destabilisierte Länder.

Auch wenn die Kriegsmaterialexportzahlen in den ersten drei Quartalen 2017 im Vergleich zum Vorjahr etwas tiefer liegen, exportiert die Schweiz noch immer Waffen in hochproblematische Regionen. Erst gestern hat der Bundesrat kommuniziert, dass er Gute Dienste gegenüber Saudi-Arabien und dem Iran anbietet und entsprechende Schutzmachtmandate aufgestellt wurden [1]. Waffenexporte in den Nahen und Mittleren Osten, welche die dortigen Konflikte weiter anheizen, torpedieren diese konfliktlösende Aussenpolitik der Schweiz.

Lewin Lempert, Sekretär der GSoA, kommentiert die neuesten Zahlen: „Tiefere Zahlen bedeuten nicht weniger Risiko für mehr Kriege und Konflikte. Gerade Exporte in die Türkei, nach Saudi-Arabien oder an die Vereinigten Arabischen Emirate sind höchstproblematisch. Die GsoA verlangt einen sofortigen Stopp dieser Exporte.“

Früher Kindersoldat, heute Söldner: die neue Dimension kriegerischer Ausbeutung

Eine bei ARTE gezeigte WDR-Dokumentation über Kindersoldaten aus dem Jahr 2016 beschreibt, wie ehemalige Kindersoldaten in Uganda und Sierra Leone Jahre nach Kriegsende von Söldnerfirmen wieder als Kämpfer für Einsätze im Irak angeheuert werden – weil ihnen die berufliche und finanzielle Perspektive fehlt. Der dänische Dokumentarfilmer Mads Ellesoe zeigt in „The Child Soldiers New Job“ die skrupellose Geschäftswelt der „Military Contractors“. Gezeigt wird auch, wie die Kriegsfirmen, etwa das britische Unternehmen Aegis, weltweit in Kriegsgebieten „arbeiten“ und wie sie Menschen aus der „Dritten Welt“ dafür geradezu „benutzen“, im Auftrag der westlichen Regierungen. Bedrückend, aber unbedingt sehenswert!

Vom kolonialen Bombenkrieg zum „Drone War“: Studie von Thomas Hippler übersetzt

Eine Buchkritik von André Maertens

Die erstmals 2014 publizierte Studie „Le gouvernement du ciel. Histoire globale des bombardements aériens“ des Historikers Thomas Hippler wurde (von Daniel Fastner) aus dem Französischen übersetzt und ist unter dem Titel „Die Regierung des Himmels. Globalgeschichte des Luftkriegs“ bei Matthes & Seitz in Berlin erschienen. Eine englischsprachige Übersetzung liegt ebenso vor. Der 1972 geborene Hippler lehrt seit 2016 im französischen Caen, als Professor für Neueste Geschichte an der Universität der Normandie. 2007 hatte er die Studie „Citizens, Soldiers and National Armies: Military Service in France and Germany, 1789-1830“ vorgelegt, deren französische Fassung ein Jahr zuvor erschienen war.

Hippler beschreibt, wie bereits bald nachdem Flugzeuge gebaut werden konnten, deren technische Machart den Einsatz in Kampf- oder Terroraktionen möglich machte, die Idee und auch die militärische Taktik des Bombenabwurfs aufkam und schrittweise weiterentwickelt wurde. Gleichzeitig entwarf man (kriegs-)politische Konzepte zur Kontrolle von „widerspenstigen“ Gebieten oder auch größeren Regionen und zur kollektiven Bestrafung bzw. möglichst effizienten Vernichtung des Feindes – der oft genug aus großen Bevölkerungsgruppen oder ganzen Gesellschaften bestand, wohlgemerkt anfangs nur in den „unkultivierten“ Ländern des „Südens“, in Afrika, Arabien und anderen Kolonien in Asien.

Das Buch nimmt uns unter anderem mit zu dem Moment, als der italienische Leutnant Gulio Gavotti im Jahr 1911 in Libyen zum ersten Mal Bomben aus einem Flugzeug abwarf (S. 9), ebenso zu den Bombenangriffen der englischen Truppen im Indien der Zwischenkriegszeit (aus europäischer Sicht) sowie zu französischen Militärs, die in Nordafrika und in Syrien bombardierten. Im Kapitel „Die Philosophie der Bombe“ (S. 139-160) lernen wir den bedeutenden italienischen Luftkriegstheoretiker Giulio Douhet kennen (1869-1930), dessen als „Douhetismus“ bezeichnete Vorstellungen einer weltweiten Herrschaft, wie Hippler beschreibt, britische und US-amerikanische Kriegsplanungen vor 1939 entscheidend beeinflusst haben könnten, bis hin zu „neudouhetistischen“ Konzepten in heutiger Zeit, dem unerklärten Luftkrieg unserer Tage. Und so erhalten wir auch einen raschen Einblick ins Weiße Haus in Washington und können uns vorstellen, wie der US-Präsident einmal pro Woche am „bloody Thursday“ die Personen auswählt, die zu töten sind, weil sie angeblich eine Gefahr für die „Sicherheit der USA“ darstellen, ob nun mit sicheren Beweisen (die aber niemand unabhängig prüfen darf) oder einfach, weil sie verdächtige Dinge tun (S. 224f). Mein Fazit: Völkerrecht adieu, Demokratie als Auftraggeber für vorsätzlichen Totschlag. Die Studie geht ebenso auf W. G. Sebalds Thesen zum Fehlen von „Luftkriegsliteratur“ und auf die Ende der 1990er Jahre aufkommende deutsche Debatte um vermutete Tabus bei der erzählerischen Darstellung ein, wenn auch nur kurz (172ff).

Hippler verbindet die historischen Phänomene des Kolonialkriegs mit den Strategien des heutigen strategischen Bombenkriegs und führt aus, dass beide Kriegserscheinungen historisch zusammen betrachtet werden müssen. Der moderne Bombenkrieg habe in den Kolonien, genauer gesagt in der von ihm besonders hervorgehobenen „Peripherie“ begonnen, er wurde von den Kolonialmächten als Bestrafungs- und Unterwerfungsmechanismus genutzt, und diese Kriegsform sei dann im Laufe des 20. Jahrhunderts nach Europa und in andere „westliche“ Staaten zurückgekehrt. Dies sei durchaus schon in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg geschehen, etwa als die britische Luftwaffe, wie Hippler berichtet, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs „chemische Bomben“ auf russisches Gebiet abwarf, um die bolschewistischen Truppen zu vernichten, auch die Rote Armee sei ähnlich vorgegangen, in Irland plante die britische Regierung Bombardierungen zur Niederschlagung von Aufständen (S. 127ff). Ab 1936 führte die faschistische deutsche Wehrmacht Städtebombardierungen durch, neben vielen anderen Städten und Gebieten in Gernika, Wieluń, Warschau, Rotterdam, London, Coventry, Belgrad, Stalingrad, Leningrad und Moskau, schließlich trafen strategisch geplante Angriffe der Alliierten auch NS-Deutschland und seine Verbündeten, etwa Österreich und in besonderer Weise Japan. Während man bei Bombardierungen von „zivilisierten“ Ländern noch darüber gestritten habe, ob es moralisch erlaubt sei, Zivilisten zu bombardieren, d. h. zu töten, war dies, so Hippler, bei den Angriffen in „wilden“ Ländern wie Libyen, Ägypten und Somalia gar keine Frage.

Nach seiner Betrachtungsweise wird mit den heutigen Drohnenangriffen – vor allem seitens der US-Regierungen von George W. Bush und vor allem von Barack Obama sowie der betreffenden Abteilungen der CIA – jene (Kriegs-)Politik des „Police Bombing“ fortgeführt, die sich eben bereits im kolonialen Zeitalter finden lasse, und die einem Prinzip folge, das Hippler mit abgewandelten Foucault-Zitaten treffend als „Überfliegen und zerstören“ (S. 89) und „Überwachung durch Überflug“ (S. 225) beschreibt. Diese von ihm als „permanenter Krieg niedriger Intensität“ bezeichnete Militärkonzeption drohe demnach, die damaligen – meiner Ansicht nach eurozentristischen und rassistischen – Denkmuster und die grausamen Gewaltpraktiken fortzusetzen. Dieser „Krieg ohne Ende“ lasse sich gleichzeitig nicht mehr als Krieg im früheren Sinn von Armeekonfrontationen mit offizieller Kriegserklärung verstehen. Wenn im modernen asymmetrischen Kriegsszenario die Front, die vorzufinden man „gewohnt“ ist, sozusagen verschwindet und eine auf die globale Ebene ausgedehnte Interventionsfähigkeit aufgebaut werden soll (ohne eigene Bodentruppen zu gefährden), wenn Länder wie der Irak und Pakistan unter dieser geplanten und zum Teil bereits installierten neuen „Weltordnung“ leiden müssen, dann ist die Frage, wie diese Entwicklung der Luftwaffe weitergeht. Hippler weist beispielsweise darauf hin, dass die Technik der strategischen Bombardierung eben nicht in jedem Fall „gewinnt“, wie der Blick auf den Krieg in Vietnam (und den angrenzenden Staaten) deutlich macht – ein Land und eine Bevölkerung, die von den Angehörigen der US-Luftwaffe, so Hippler, allein während der „Operation Linebacker“ im Jahr 1972 mit sieben Millionen Tonnen Bomben attackiert wurden, „das ist mehr als fünfmal so viel, wie die Alliierten im Zweiten Weltkrieg über Deutschland abwarfen“ (S. 186).

Natürlich lässt sich fragen, ob denn die Luftkriegsführung bei einer Gesamtschau der Kriegsentwicklungen tatsächlich eine derart bedeutende Stellung einnehmen kann. Zu bedenken wäre auf militärischem Gebiet beispielsweise der U-Bootkrieg, der im Zweiten Weltkrieg durchaus von großer Wichtigkeit war, oder die „schmutzigen“ Kriege bzw. die „polizeilichen“ Entführungs- und Folterverbrechen an BürgerInnen in Diktaturen und Demokratien, etwa während der „Operation Condor“ in Südamerika, aber auch in Mittelamerika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ganz zu schweigen von der „französischen Doktrin“, unter der vor allem die Menschen in Nordafrika gelitten haben. Ebenso ließe sich fragen, welche Stellung die stillschweigende Unterstützung von Krieg haben sollte, etwa wenn Waffen und anderes Kriegsmaterial geliefert werden und eine verdeckte Kriegsbeteiligung besteht: durch die Bereitstellung von Zieldaten für Bombardierungen und Angriffe (etwa durch AWACS- und Tornado-Flugzeuge), Verkehrswege- und Logistikunterstützung, Geheimdienstinformationen und Ausbildungshilfe, durch die Errichtung von Foltergefängnissen im eigenen Staatsgebiet oder durch die Duldung von Folter durch ausländische Sicherheitskräfte sowie durch direkte finanzielle Hilfe. Diese Art von „Außenpolitik“ wurde zum Beispiel viele Jahrzehnte von deutschen Regierungen praktiziert und wird gleichzeitig leider nur selten als Kriegspolitik wahrgenommen – etwa bei Gerhard Schröders angeblichem Nein zur Beteiligung am Angriff auf den Irak 2003. Über die deutsche Beteiligung am aktuellen Drohnenkrieg spricht die Bundesregierung nur ungern. (Die Süddeutsche Zeitung berichtete.)

Der größte Verdienst von Hipplers Studie liegt eindeutig darin, auf einen zwar nicht geheimen, aber im Stillen und fern der öffentlichen Kontrolle ablaufenden Krieg hinzuweisen, der in seiner historischen Einmaligkeit wohl noch nicht voll wahrgenommen werden kann und auch nicht in der gleichen Art überblickt werden kann, wie es bei der Betrachtung früherer „Kriege in Bildern“ möglich war – erstmalig beim Vietnamkrieg, stärker noch bei den Kriegen gegen den Irak 1991 und ab 2003. (Doch täuschen wir uns nicht, denn auch dort haben wir nicht wirklich den Krieg gesehen, sondern oftmals ein geschöntes Medienprodukt). Beim Drohnenkrieg fehlen schlicht die Bilder der Täter, während die Opfer meist um ihre Glaubwürdigkeit und auch um ihre Würdigung kämpfen müssen. Die Aussicht ist düster: Drohnentote und -verletzte wird es noch sehr lange und sehr viele geben, mit furchtbaren Folgen in den terrorisierten Ländern und auch in den Ländern, die mit diesen Terrormaschinen eine Politik der Stärke bzw. des Faustrechts verfolgen – mit extralegalen Ermordungen, die geeignet sind, Angst und Verzweiflung zu bewirken und wohl auch Hass zu säen. Karen Krüger nennt das Buch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu Recht „sehr beunruhigend“.

Eine interessante Studie zum Einsatz von Drohnen (genauer von „unbemannten Flugobjekten“, auf Englisch „unmanned aerial vehicle“, UAV) und zur Gefahr von Traumata durch das Leben in pakistanischen Angriffsgebieten haben die Stanford University und die New York University 2012 veröffentlicht.

Auch das Kino nimmt sich bereits des Themas an: „Drone“, mit Starbesetzung durch Sean Bean, zeigt die Konfrontation eines Drohnen-Piloten mit dem Ehemann einer getöteten Frau aus Pakistan. Weitere Filme finden sich in der englischsprachigen Wikipedia.

Zur Frage, ob autonom agierende Maschinen mit künstlicher Intelligenz („Killerroboter“) töten dürfen, hat die ARD einen Bericht gesendet.

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