DAKS-Newsletter Februar 2018 ist erschienen!

Diesen Monat freuen wir uns, den DAKS-Newsletter durch zwei Gastbeiträge bereichern zu können. In „Fluchtgrund Waffenhandel“ weist Jürgen Grässlin auf den Zusammenhang zwischen Waffenexporten, Krieg und Flüchtlingen hin und argumentiert für eine Verantwortung der Bundesregierung nicht nur für die Rüstungsexporte aus Deutschland, sondern auch für die dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme. Harald Möller präsentiert in seinem Beitrag neue Erkenntnisse über die Beihilfe der deutschen Industrie beim Aufbau der iranischen Rüstungsindustrie.

Weitere Themen: das geplante Engagement von Rheinmetall in der Türkei wirft ein Schlaglicht auf das deutsche Rüstungsexportkontrollregime und das Vergabeverfahren für die Nachfolgebewaffnung des G36 stellt die Arbeitsweise deutscher Behörden in Frage. – Mehr dazu jeweils im neuen DAKS-Newsletter!

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DAKS-Newsletter Februar 2018

Fluchtgrund Waffenhandel – Wie die Bundesregierung daran mitwirkt, dass Menschen massenhaft aus ihrer Heimat fliehen müssen

Von Jürgen Grässlin

„Was tun gegen Fluchtursachen?“ Die Antwort der Bundesregerung auf diese Frage klingt empathisch: „Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit tragen dazu bei, Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben.“ Zu Recht sieht die Bundesregierung immensen Handlungsbedarf: Weltweit sei „die Zahl der Flüchtlinge so hoch wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg“. Über 60 Millionen Menschen befänden sich auf der Flucht. Derzeit, so die Bundesregierung, stammen die meisten Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, aus Syrien und dem Irak, zudem aus Afghanistan, Eritrea, Nigeria und Pakistan. „Sie flüchten vor der Terrormiliz IS und den Taliban, vor Bürgerkriegen und Diktatoren. Weil sie in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen, erhalten sie in vielen Fällen Schutz in Deutschland.“ Schenkt man der Bundesregierung Glauben, dann unterstützt Deutschland „seit vielen Jahren den Kampf gegen Fluchtursachen“. Angewandt würden Maßnahmen schneller humanitärer Hilfe oder langfristiger Entwicklungszusammenarbeit, gefragt seien des Weiteren „Diplomatie oder militärische Zusammenarbeit“. Allerdings würden Menschen in Krisenregionen „oft auch mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt“. Aus diesem Grund würden Bundespolizei und Zoll „gegen diese Schleuserkriminalität“ vorgehen. Das Auswärtige Amt habe in einigen Herkunftsländern gezielte Aufklärungskampagnen gestartet, um Falschmeldungen und Gerüchten entgegenzuwirken und die Menschen vor den Gefahren einer Flucht zu warnen.

Was für viele Menschen zielgerichtet und konsequent klingen mag, verschweigt die Schattenseite der deutschen Außen-, Entwicklungshilfe und Wirtschaftspolitik. Denn wie ihre Vorgängerregierungen leistete auch die CDU/CSU-SPD-geführte Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel und Sigmar Gabriel von 2013 bis 2017 aktiv Beihilfe zur Eskalation der Gewalt und zur Stabilisierung autokratischer, repressiver und diktatorischer Regime in Ländern, aus denen Menschen massenhaft fliehen mussten. Mit ihren milliardenschweren Rüstungsexportgenehmigungen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Regierungen und Regimes trug und trägt die Bundesregierung massiv zum Fluchtgrund Waffenhandel bei. Die Folgen dieser ebenso verantwortungslosen wie menschenverachtenden Regierungspolitik wirken. Mehr als zwei Millionen Menschen flohen in den vergangenen Jahren in die Bundesrepublik Deutschland. Dabei kann die Bundesregierung auf eine lange Tradition von Waffenausfuhrgenehmigungen zurückblicken. Allein in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ermordete die türkische Armee Zehntausende Kurd*innen im Südosten des Landes – maßgeblich mit Waffen von Heckler & Koch (H&K). Mehr als eine Million Menschen aus Türkisch-Kurdistan flohen maßgeblich vor dem Einsatz deutscher Maschinenpistolen des Typs MP5 und Sturmgewehre des Typs G3, in Lizenz von H&K und der Bundesregierung gefertigt bei MKEK in Ankara. Die allerneusteb der Geflüchteten kamen nach Deutschland, vielfach nicht wissend, dass sie in einem Land von Diktatorenfreunden Schutz suchten. Was hat die Bundesregierung aus den Schandtaten der Vergangenheit gelernt? Offenbar nichts, wie ein Blick auf die derzeitige Rüstungsexportpolitik verrät.

Friedensforschungsinstitut Sipri schlägt Alarm

Die aktuellen Zahlen zum Waffenhandel mit Großwaffensystemen (wie Kampfpanzer und -flugzeuge sowie Militärhelikopter) sind ernüchternd. Im Dezember 2017 publizierte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri die globale Rüstungsexportbilanz für das Vorjahr. Demnach verkauften international agierende Rüstungskonzerne 2016 weltweit weitaus mehr Kriegswaffen als in den Jahren zuvor. Der Umsatz der Top 100 stieg bei Waffen und militärischen Dienstleistungen auf nunmehr 374,8 Milliarden US-Dollar (fast 318 Milliarden Euro). Erstmals – nach fünf Jahren verminderter Waffentransfers – nahmen die Rüstungsverkäufe 2016 wieder zu – laut Sipri um 1,9 Prozent im Vergleich zu 2015 und um 38 Prozent im Vergleich zu 2002. Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Deutschland. Hierzulande steigerten Waffenschmieden ihre Rüstungsexporte um insgesamt 6,6 Prozent auf rund sechs Milliarden Dollar. Die Speerspitze bildeten dabei die Düsseldorfer Rheinmetall AG mit einem Zuwachs um 13,3 Prozent, gefolgt vom Kampfpanzerbauer Krauss-Maffei Wegmann in München und Kassel mit einem Plus von 12,8 Prozent. Beide Unternehmen hätten von der Nachfrage nach Waffen profitiert, analysiert der Sipri-Experte Pieter Wezeman die aktuelle Entwicklung. Wezeman nennt neben den Empfängerregionen in Europa und in Südostasien vor allem den Mittleren Osten. Wahrlich ein lukrativer Absatzmarkt dank der dort tobenden Kriege.

Deutsche Kriegswaffenexporte an Diktatoren und Warlords

Überraschend erscheinen diese Sipri-Zahlen nicht, erschreckend sind sie dennoch. So offenbarte bereits ein Blick in den regierungsamtlichen Rüstungsexportbericht 2016 der Großen Koalition Monate zuvor eine fortgesetzt düstere Entwicklung. Allein der Wert der erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen betrug 6,848 Milliarden Euro – das zweithöchste Volumen, das jemals gemessen worden war. Auch die Empfängerländer deutscher Kriegswaffentransfers sprechen für sich: So wurden umfangreich Ausfuhrgenehmigungen für Staaten im Maghreb, dem Nahen und Mittleren Osten erteilt, für Algerien 846,5, Ägypten 337,0, den Irak 10,9, Israel 2,8, Jordanien 10,1, Oman 7,1, Saudi-Arabien 21,3 und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) 13,2 Millionen Euro. Unter den Top 10 deutscher Empfängerländer befanden sich mit Saudi- Arabien, den VAE und Ägypten drei Staaten, die sich am Krieg mit dem Jemen beteiligten. Allen voran die exorbitant hohen Steigerungen der Genehmigungen für den Export sogenannter Kleinwaffen (von Pistolen über Maschinenpistolen bis hin zu Sturm-, Maschinen- und Scharfschützengewehren) sprach für sich: Im Jahr 2016 wurden Kleinwaffenexporte im Wert von 46,89 Millionen Euro erteilt – im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um sage und schreibe 47 Prozent. 2016 wurden erneut Kleinwaffentransfers ins Kriegsland Irak genehmigt, u.a. für 4 000 weitere Gewehre mit KWL-Nummer (Kriegswaffenliste) im Wert von mehr als 2,1 Millionen Euro. Deutschland ist im weltweiten Ranking zum drittgrößten Exporteur von Kleinwaffen avanciert. Die Bundesregierung genehmigte einmal mehr Kriegswaffenexporte an Diktatoren und Warlords. Mit den Waffentransfers in den Irak nahm die Bundesregierung den Bruch des Völkerrechts und damit des Grundgesetzes in Kauf. Denn bis zum heutigen Tag gilt ein Waffenembargo der Vereinten Nationen für den Irak.

Deutsche Kriegswaffen in Händen von Terroristen

Weltweit schießen Terroristen mit Kriegswaffen aus deutscher Fertigung oder ausländischer Lizenzfertigung. Die Liste ist lang und umfassend. Seit langen Jahren nachgewiesen ist beispielsweise der Einsatz von G3-Schnellfeuergewehren von H&K durch Taliban in Afghanistan. Diese Kleinwaffen wurden in Lizenz bei Pakistan Ordnance Factory (POF) hergestellt und offensichtlich über Mittler des pakistanischen Geheimdienstes geliefert. Auch im Kriegsland Irak sind deutsche Gewehre im Kampfeinsatz. Bereits am 1. September 2014 hatte der Bundestag beschlossen, Kleinwaffen an die Peschmerga im Nordirak zu liefern – was seither in großem Umfang auch passiert. Abertausende G3- und G36-Sturmgewehre fanden mittlerweile ihre Schützen im Norden des Irak, desgleichen wurden rund sechs Millionen Schuss Munition geliefert. Längst konnte auf den Waffenmärkten im nordirakischen Kirkuk und Erbil nachgewiesen werden, dass G3 aus Bundeswehrbeständen vom IS gekauft und eben gegen die Peschmerga eingesetzt wurden. Die Herkunft dieser Kriegswaffen ist in den Schnellfeuergewehren eingestanzt. Meine Erfahrung Jahrzehnte währender Vor-Ort-Recherchen lautet: Waffen bleiben selten dort, wo man sie hinliefert. Sie wandern dorthin, wo am meisten bezahlt wird. So lautet das Gesetz des Marktes auf den Kriegsschauplätzen in aller Welt.

Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten

Im genannten Berichtszeitraum 2016 forderten die Kriege im Irak und in Syrien weltweit die meisten Opfer. Dabei hatte Russland mit befreundeten Staaten das syrische Assad-Regime bis an die Zähne mit Waffen hochgerüstet und somit an der Macht gehalten, während die USA mit befreundeten Nationen in der Nato über Jahre Rebellengruppen mit Kriegswaffen ausgestattet hatten. Was dazu führte, dass die Region in Schutt und Asche lag und liegt und Millionen Menschen in die Flucht getrieben wurden. Mit anderen Worten: Waffenexporte der reichen Industriestaaten an Diktatoren in den Krisen- und Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten, dem Maghreb und den Entwicklungsländern des Südens stellen einen absolut zentralen Fluchtgrund dar. Deutschland spielt dabei eine erhebliche Rolle. Eine Unterscheidung nach guten und bösen Empfängern deutscher Kriegswaffen – wie sie der vormalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wiederholt zur Legitimierung derartiger Ausfuhrgenehmigungen ins Feld geführt hat – ist obsolet. Waffen wandern. Menschen müssen vor dem Einsatz deutscher Kriegswaffen – sei in Händen von Regierungstruppen, Guerillaeinheiten oder Terroristen – fliehen. Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten. Gabriel weiß das, die Bundesregierung weiß das – und genehmigt dennoch weiterhin Kriegswaffenexporte an Barbaren und Schlächter in Krisen- und Kriegsgebiete. Diese Politik der Bundesregierung ist weder sozial noch demokratisch noch christlich. Sie ist heuchlerisch, verlogen und inhuman. Wer Fluchtgründe beseitigen will, muss da ansetzen, wo ein konkreter Ansatzpunkt besteht. Effizient und erfolgreich wäre ein sofortiger vollständiger Stopp aller Kriegswaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten – impulsgebend eingeleitet von der deutschen Bundesregierung.

Grenzen öffnen für Menschen, Grenzen schließen für Waffen!

Zu Recht fordert die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, deren Gründungsmitglied die DFG-VK ist: Öffnet die Grenzen für Menschen, schließt die Grenzen für Waffen! Wir wollen, dass unsere Forderungen in einem neuen Rüstungsexportvermeidungsgesetz festgeschrieben werden: kein Export von Rüstungsgütern an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten, Exportverbot für Kleinwaffen und Munition; keine Hermesbürgschaften zur staatlichen Absicherung von Rüstungsexportgeschäften, keine Lizenzvergabe an andere Länder. In den kommenden Jahren müssen wir uns aber auch verstärkt den Unternehmen zuwenden, deren Geschäftspolitik das Rüstungsexportdesaster verursacht. In den Tagen nach Pfingsten bietet der Staffellauf gegen Rüstungsexport „Frieden geht“ von Oberndorf über Kassel nach Berlin die Chance zum aktiven Handeln gegen Waffenhandel (www.frieden-geht.de).

Jürgen Grässlin ist einer der Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei Stoppt den Waffenhandel!“ und Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis.

Rheinmetall: Rüstungskooperation mit der Türkei

In den Wochen vor der am 16. Februar 2018 erfolgten Freilassung des in der Türkei inhaftierten Welt-Korrespondenten Deniz Yücel genehmigte die Bundesregierung 31 Anträge auf den Export von Rüstungsgütern in die Türkei. Ein Zusammenhang zwischen diesen Exportgenehmigungen und dem diplomatischen Erfolg bestehe jedoch nicht. Trotz des am 20. Januar 2018 erfolgten Einmarsches türkischer Truppen in Syrien hält die Bundesregierung Rüstungsexporte in die Türkei auch künftig für grundsätzlich genehmigungsfähig. Dies geht aus einer schriftlichen Frage hervor, die Heike Hänsel (MdB, Die Linke) an die Bundesregierung stellte. Der Umfang dieser künftigen Exporte ist dabei natürlich noch nicht abzusehen, es scheint jedoch, als sei dabei nicht allein die Höhe, sondern vor allem die Art der angestrebten Exporte von ausschlaggebender Bedeutung. In Anbetracht der Eskalation zwischen Syrien und der Türkei muss die türkische Regierung bestrebt sein, den Nachschub von Waffen zu sichern. Hierbei, so scheint es, setzt die Türkei insbesondere auch auf die Unterstützung der deutschen Rüstungsindustrie. In gleicher Weise strebt die Türkei jedoch den Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie an, um künftig die Abhängigkeit von Rüstungsexporten reduzieren zu können. Ein Beispiel für den gelungenen Aufbau eigener Produktionskapazitäten ist das türkische Rüstungsunternehmen MKEK, das seit 2014 mit der Produktion von Kleinwaffen experimentiert. In diesem Jahr wurde erstmals ein auf dem HK416 basierendes Schnellfeuergewehr, das MPT-76, zur Felderprobung an die türkische Armee ausgeliefert. Nach erfolgten Praxistests forderte die Armee die Umrüstung der Waffe vom Kaliber 5,56 NATO in das Kaliber 7,62 NATO, was die Auslieferung der Waffe bis ins Jahr 2017 verzögerte. Seit Januar 2017 erfolgt nun die Beschaffung des Gewehrs, was die schrittweise Umrüstung der türkischen Streitkräfte vom G3 aus deutscher Produktion auf ein einheimisches Schnellfeuergewehr nach sich zieht. Vor dem Hintergrund der Gespräche zwischen türkischen Stellen und dem deutschen Panzerhersteller Rheinmetall scheint es, als versuche die Türkei nun auch bei Großkampfsystemen einen ähnlichen Weg zu gehen, wie er schon im Bereich der Kleinen und Leichten Waffen beschritten worden ist. Den Beteiligten ist dabei klar, dass es im Fall einer solchen Kooperation nicht um die Lieferung von fertigen Kampfpanzern in die Türkei geht, sondern um den Aufbau von Entwicklungs- und Produktionskapazitäten durch die sich die Türkei von Waffenimporten unabhängig macht.

Wenn diese Entwicklung im Fall der Produktion von Kleinwaffen bereits abgeschlossen zu sein scheint, so besteht im Hinblick auf die Produktion von Panzern noch etwas Spielraum, um die entsprechende Entwicklung zumindest zu verzögern. Das türkische Unternehmen Otokar bemüht sich bereits seit dem Jahr 2007 um den Aufbau einer Lizenzpoduktion des südkoreanischen Panzers K2 Black Panther. Stellt man in Rechnung, dass schon beim Ursprungsmodell der Motor von MTU Friedrichshafen und das Geschütz von Rheinmetall stammen, dann ist klar, dass es sich hierbei in keinem Fall um ein „einheimisches“ Waffensystem handelt. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, weshalb die endgültige Produktionsaufnahme immer wieder verschoben wurde und statt der Einführung dieses Modells die Entwicklung eines neuen Panzers in türkischer Eigenverantwortung angestrebt wird. Diesem Ziel würde die türkische Rüstungsindustrie durch eine Kooperation mit Rheinmetall ein großes Stück näher kommen. Von Seiten des deutschen Unternehmens scheint es gegen eine solche Kooperation keine Vorbehalte zu geben, weshalb bereits im Jahr 2016 unter dem Namen RBSS ein deutsch-türkisches Joint-Venture gegründet wurde, bei dem Rheinmetall mit 40% der Anteile als Minderheitsaktionär agiert. Ein in diesem Zusammenhang entwickeltes Panzer-Modell würde also im Rahmen eines von türkischer Seite kontrollierten Unternehmens entwickelt und produziert werden. Da die Bundesregierung seinerzeit keine Einwände gegen die Kooperation erhoben zu haben scheint, ist es nun höchste Zeit, Regelungen zu schaffen, die einen weitergehenden Technologie-Transfer erschweren. In einer Stellungnahme weist Sevim Dağdelen (MdB, Die Linke) darauf hin, dass Rheinmetall eine Reihe von Regelungslücken für sich ausnutzen könnte, um das deutsche Rüstungsexportkontrollregime zu umgehen und auch ohne ausdrückliche Genehmigung der Bundesregierung faktisch einen Technologietransfer zu leisten. Wie einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke zu entnehmen ist, scheint von Seiten der Bundesregierung derzeit kein Interesse zu bestehen, diese Lücken zu schließen und eine entsprechende Kontrollmöglichkeit zu schaffen. So scheint absehbar, dass Rheinmetall die gewünschte Kooperation mit seinem türkischen Partnern eingehen und mit Leben füllen kann. – Ohne, dass die Politik noch ernsthafte Vorbehalte artikulieren kann.

G36-Nachfolgewaffe: Das Ausschreibungsverfahren steht vor dem Aus

Ursprünglich sind fünf Kleinwaffen-Hersteller angetreten, um sich an der Ausschreibung für die Nachfolgebewaffnung des G36-Gewehrs zu beteiligen (siehe DAKS-Newsletter 09/2017): Heckler & Koch, SIG Sauer, Haenel Defence, Rheinmetall/Steyr und FN Herstal. Nachdem SIG Sauer bereits im November 2017 seine Beteiligung unter Protest gegen die Ausschreibungsbedingungen zurückgezogen hatte, kündigte nun auch Rheinmetall/Steyr an, sich aus dem Bieterverfahren zurückzuziehen. Gründe für diese Entscheidung werden bisher nicht genannt, doch scheint der Verdacht gerechtfertigt, dass auch in diesem Fall die Verfahrensbedingungen als benachteiligend empfunden werden. Anders ausgedrückt: Es steht der Verdacht im Raum, dass Heckler & Koch, als der traditionelle „Haus- und Hoflieferant“ der Bundeswehr in den Ausschreibungsformulierungen einseitig bevorzugt wurde, so dass die Offenheit des Ausschreibungsverfahrens von den beteiligten Unternehmen nun in Frage gestellt wird. Durch den Rückzug von zwei Unternehmen aus dem Ausschreibungsverfahren sind nun aber nicht nur die Rahmenbedingungen zu hinterfragen, unter denen das Verfahren geführt wird, sondern das Verfahren als solches: Wenn tatsächlich eine Vorauswahl stattgefunden hat und die Ausschreibungsbedingungen so geregelt wurden, dass Heckler & Koch notwendig als Gewinner aus dem Verfahren hervorgehen muss, dann bedeutet das auch, dass die Auftragsvergabe faktisch nicht im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung stattgefunden hat, sondern „freihändig“ erfolgte, eine Vorgehensweise, die bei Projekten dieser Größenordnung nicht erlaubt ist.

Fritz Werner, der Bau einer „Mehrzweckanlage“ und die Folgen

Ein Wehrpflichtiger oder Zeitsoldat der Bundeswehr aus der Zeit der 60er und 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, der sich einmal Bilder von Paraden und Waffen der heutigen iranischen Armeen ansieht, könnte leicht verwundert ausrufen: „Das kenn ich doch alles.“ 1)

Das hat einen einfachen Hintergrund: Die – damals bundeseigene – Firma Fritz Werner war einer der Hauptausrüster des „Kaiserlichen“ Arsenals in der Zeit des Schahregimes. Die bewaffneten Streitkräfte des Irans, die in der Endphase des Schahregimes beinahe eine halbe Million Mann umfassten, wurden in der Folge vor allem mit Kleinwaffen bundesdeutscher Herkunft ausgerüstet. Sie verfügten u.a. über das Gewehr G3 und das Maschinengewehr MG3, Standardschützen-waffen der früheren Bundeswehr, die in Iran in Lizenz nachgebaut wurden. Außerdem verfügten sie über Munition für diese Waffen. Schließlich hat Fritz Werner in der Zeit von 1965-1979 eine große Zahl von militärischen Anlagen an Iran geliefert, nämlich:

Anlagen zur Herstellung von:

1.)Handgranaten
2.)Rauchgranaten
3.)Patronen
4.)Minen
5.)Granatwerfer-Munition
6.)Artillerie-Munition
7.)Mittelkaliber-Munition
8.)Gewehr-Granaten
9.)Übungs-Gewehr-Granaten
10.)Übungs-Handgranaten
11.)Zündern
12.)Kleinkaliber-Munition
13.)Gewehren
14.)Granatwerfern
15.)Maschinengewehren
16.)Panzer-Abwehr-Raketen
17.)Artillerie-Raketen
18.)Launchern

Darüber hinaus wurden andere Anlagen und Laboratorien geliefert, die ebenfalls die Entwicklung, Fertigung, Prüfung, Lagerung und Reparatur von Waffen, Raketen und Artilleriemunition sowie die Ausbildung und Schulung an Waffen betrafen.

Der „Gesamtwert“ aller von Fritz Werner in Iran nach 1965 erstellten Militäranlagen ist unbekannt. Es wird allerdings vermutet, dass er in einer Größenordnung von mehreren hundert Millionen DM lag, möglicherweise auch Milliarden DM umfasst haben kann. So hatte ein 1967 geschlossener Vertrag zum Ausbau des Arsenals einen Umfang von etwa 200 Millionen DM. Und ein Vertrag von Fritz Werner mit Iran aus dem Jahre 1978 über den Bau einer Einrichtung zur Produktion von zivilen und militärischen Spreng- und Treibmitteln in Partchin – die Anlage gehört zum Arsenal – hatte einen „Wert“ von etwa drei Milliarden DM.

Legitimiert wurden viele dieser Bauten unter Berufung auf eine zweite Ausbaustufe einer „Mehrzweckanlage“, über deren Bau kurz vor und während des Schahbesuchs (28.5. – 4.6.1967) zwischen Iran und Bundesrepublik diskutiert worden war. In die Verhandlungen spielte hinein, dass der Schah über die Demonstrationen im Verlauf des Schahbesuchs, bei denen es zur Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg gekommen war, sowie die Presseberichterstattung, in hohem Maße empört war. Er beklagte nicht den Tod des Demonstranten, sondern eine Verletzung seiner Ehre. Zutiefst war er erzürnt. Die Bundesregierung, die auf einen positiven Ausgang des Besuchs gesetzt hatte und sehr bedauerte, dass ein „Gast“ auf so viel Kritik und Ablehnung gestoßen war, bemühte sich deswegen, dem Schah großzügig entgegen zu kommen – u.a. durch einen günstigen Kredit zum Bau dieser Anlage. Die Einzelheiten des Vertrages zum Ausbau dieser Anlage – es handelte sich faktisch um eine Munitionsfabrik – wurden allerdings zu keinem Zeitpunkt genauer bestimmt. Das führte dazu, dass Fritz Werner unter Berufung auf diese Altverträge öfter weitere Aktivitäten in Iran aufnehmen konnte, auch in der Zeit nach 1979.

Eingesetzt wurden die Waffen und die Munition, die in dieser Anlage produziert worden waren und wurden, v.a. im Krieg zwischen Irak und Iran von 1980-1988, der mindestens einige hunderttausend, vielleicht auch wesentlich mehr Menschen das Leben gekostet hat – unter anderem Kindersoldaten. Hierüber gibt es einen sehr anschaulichen Bericht des Minderjährigen Reza Behrouzi (ein Pseudonym), der im Verlauf einer Minenräumaktion schwer verwundet wurde. Heute befindet sich diese Anlage in Händen der zweiten, nach der iranischen Revolution neu aufgestellten Armee des Irans, der Pasdaran. Das sind die Revolutionswächter Irans.

Die hier vorgestellte Militärhilfe der Bundesrepublik für Iran hatte somit Nachwirkungen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung für die Hilfestellung nicht beabsichtigt und vorausgesehen worden waren – ein „Mechanismus“, der sehr oft im Falle von Rüstungsexporten festzustellen ist.

Harald Möller, Berlin

(Anmerkung 1: Ähnliches könnte ein Soldat der früheren NVA bei dem Blick auf Bilder und Waffen der Pasdaran erleben. Die wurden nämlich in starkem Maße mit DDR-Waffen ausgerüstet. Einzelheiten zu alledem finden sich u.a.in: Harald Möller, 2017, Der Schahbesuch 1967. Ein Film, Rüstungsprozesse und ein Infrastrukturprojekt sowie ein Mann im Hintergrund, Berlin; es ist der Band 4 einer Serie zum Schahbesuch. Die drei anderen Bände wurden bereits im DAKS-Newsletter besprochen.)

► Weitere Informationen zu diesem Forschungsprojekt gibt es beim internationalen und interdisziplinären Journal „Social Transformations / Soziale Transformationen“, das Studien zu Prekarisierung und Diversität enthält. Siehe:

http://www.socialtrans.de/index.php/st/article/view/12/9

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