Dieser Gastbeitrag RIB-Vorstandsmitglied Ruth Rohde erschien in der Frankfurter Rundschau.
Die Ampel will Freiheit durch Aufrüstung verteidigen. Welche Risiken birgt das? Ein Gastbeitrag von Ruth Rohde, Programmleiterin des „Arms Trade Corruption Tracker“.
Demokratie durch Aufrüstung verteidigen: das ist ein Ziel der Ampel-Regierung. Aber welche Gefahren gehen von der Aufrüstung für die Demokratie aus?
In der vergangenen Woche machte Finanzminister Christian Lindner den umstrittenen Vorstoß, Sozialausgaben einzufrieren, um die rüstungspolitische Zeitenwende zu finanzieren. Erst wenige Tage zuvor plädierte Kanzler Olaf Scholz dafür, künftig zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben und rechnete dabei nicht mit Widerstand aus der Bevölkerung, da es darum ginge, die Demokratie zu verteidigen.
Rüstung kostet – und der Abbau des Sozialstaats kann zum Erfolg rechter Parteien beitragen
Dabei birgt Aufrüstung in sich Gefahren für die Demokratie. Drei stechen hervor: Die hohen Kosten, die Annäherung von Politik und korruptionsanfälliger Rüstungswirtschaft, sowie die zunehmende Abhängigkeit von problematischen Abnehmern für Rüstungsexporte.
Das erste Problem ergibt sich aus den hohen Kosten. Die Regierung hat bereits den Rotstift ausgerechnet bei Themen wie Entwicklungszusammenarbeit und politischer Bildung angesetzt. Der Abbau des Sozialstaats kann zum Wahlerfolg rechter Parteien beitragen, die dann im schlimmsten Fall einen militarisierten Staat regieren würden. Sicherheit muss nicht zuletzt als soziale Sicherheit der Bürger:innen verstanden werden. Neben Finanzmitteln, vereinnahmt die Rüstungsindustrie auch Ressourcen wie Fachkräfte, die wir für die Bewältigung der Klimakrise bräuchten.
Korruptionsanfälligkeit der deutschen Rüstungsindustrie kann die Demokratie schwächen
Das zweite Problem besteht in der Annäherung von Politik und Rüstungswirtschaft. Die Medienplattform Correctiv stellte 2022 auf der Basis von Justiz-Unterlagen fest, dass die Rüstungsindustrie die anfälligste Branche für Auslandbestechung ist. Ein Grund dafür ist eben auch, dass von der Bevölkerung erwartet wird, Rüstungsausgaben nicht zu hinterfragen.
Korrupte Waffengeschäfte schaden der Demokratie sehr direkt, wenn Amtsträger:innen bestochen oder rüstungspolitische Prioritäten im Privat- oder Parteiinteresse von Politiker:innen gesetzt werden. Es gibt jedoch auch indirektere Interessenkonflikte: etwa, wenn es Standard wird, dass Amtsträger:innen zwischen Regierung und Rüstungswirtschaft hin und her wechseln. Oder auch, wenn sich Regierungen primär von eben jenem Wirtschaftszweig beraten lassen, der ein eigenes Interesse an Aufrüstung hat.
Deutschland exportiert Waffen nicht nur an Vorzeige-Demokratien
Schlussendlich wären da noch Rüstungsexporte. Verteidigungsminister Boris Pistorius möchte auch an nicht lupenreine Demokratien liefern. An Indien beispielsweise, ein Land, in dem Gewalt gegen Minderheiten auf dem Vormarsch ist. Welche Staaten als empfangswürdig gelten, ist dabei oft eine Frage der politischen Opportunität, nicht der Menschenrechts- oder Konfliktlage.
Russland: Einst guter Abnehmer für Rüstungsexporte
So galt bis zur Invasion der Krim auch Russland als guter Abnehmer. Solche Fehleinschätzungen kosten Leben und höhlen den Rechtsstaat aus. Ein Beispiel sind Lieferungen an Saudi-Arabien. Deutschland liefert Teile für Kampfflugzeuge, die Großbritannien an die Saudis verkauft. Während der heißen Phase des Jemenkriegs, in der Deutschland entschied keine Waffen außer eben jenen Flugzeugteilen zu liefern, wurde die Deutsche Exportsouveränität durch dieses Arrangement bereits ausgehebelt.
Großbritannien ist stark abhängig von den Saudis. So konnten die Saudis in den 2000ern die Labour-Regierung dazu bewegen, Korruptionsermittlungen einzustellen. Der Rechtsstaat wurde aktiv ausgehöhlt, um weiter Waffengeschäfte machen zu können.
Verstöße gegen Rüstungsexportgesetze: Deutschen Gerichten fehlen Befugnisse
Bei der rechtsstaatlichen Überprüfbarkeit ist Deutschland anderen Ländern bereits hinterher. In England oder den Niederlanden kann gerichtlich überprüft werden, ob sich die Regierung an Rüstungsexportgesetze hält. In den Niederlanden entschied unlängst ein Gericht, dass Lieferungen an Israel unrechtmäßig sind, die völkerrechtswidrig in Gaza eingesetzt werden können. Dieselben Regeln gelten auch in Deutschland, doch gerichtlich überprüft werden, kann ihre Einhaltung nicht.
Transparente Debatte über Gefahren von Aufrüstung notwendig
Diese Risiken sollten offen diskutiert werden. Dabei sollte einbezogen werden, welche Bedeutung die Aufrüstung für die Demokratie hat. Das imperialistisch agierende Russland, gegen das wir uns aufrüsten, ist dasselbe, welches es, auch Dank der ukrainischen Streitkräfte, nicht geschafft hat, die Ukraine zu übernehmen. Inwiefern ist es realistisch, dass es eine Gefahr für den Rest Europas darstellt?
Eine Gefahr, die es nicht nur rechtfertigt, ein glaubwürdiges Minimum an Abwehrbereitschaft zu erhalten, sondern die massive Aufrüstungsspirale, in die wir uns momentan begeben mit all den darin enthaltenen unmittelbaren Gefahren für die Demokratie?