DAKS-Newsletter Juli 2011 ist erschienen!

Die Terroranschläge in Norwegen sind derzeit in aller Munde. Es steht außer Frage, dass ein solches Massaker nur mit Hilfe des ‚Fortschrittes‘ möglich gewesen ist, den die moderne Kleinwaffen-Technologie in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, aber – das Leid der Opfer und ihrer Hinterbliebenen ist offenkundig. Uns fehlen die Worte um adäquat auf diesen Wahnsinn zu reagieren.

Stattdessen: Hintergrundinformationen zu deutschen Waffen in Saudi-Arabien. Neue Erkenntnisse über Kleinwaffenlieferungen aus Europa an das Gaddafi-Regime. Und eine Zusammenfassung über (Alt-) Waffenverkäufe aus dem Arsenal der Bundeswehr.

Besonderes Augenmerk verdient jedoch eine Rezension von Dr. Peter Lock über das AK-47, der zu entnehmen ist, warum diese Waffe nicht ein Phänomen von gestern ist, sondern ein Problem für Zukunft der Welt von morgen darstellt.

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Altwaffenvernichtung durch die Bundeswehr? – Fehlanzeige!

Die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen verabschiedete im Jahr 2001 einen Beschluss mit dem Titel „Vernichtung statt Export von Altwaffen der Bundeswehr: Für eine restriktive und transparente Rüstungsexportpolitik“. Ausgehend von den Erfahrungen, die rüstungsexportpolitisch mit dem Waffen-Arsenal der NVA gesammelt werden konnten, kamen sie zu dem Schluss, dass der Export von Überschusswaffen der Bundeswehr nur „in eng beschränktem Maße und nur in Bündnisstaaten, die den Anforderungen der Rüstungsexportrichtlinien der rot-grünen Koalition entsprechen, zulässig sei. Dabei muss – z. B. im Rahmen eines Abkommens oder Waffentauschprogramms – sichergestellt werden, dass der Bündnispartner die zu ersetzenden Waffen vernichtet und nicht in den Exportkreislauf einspeist.“ Seit dem ist viel Zeit vergangen, aber eine Lösung für die Überschusswaffen der Bundeswehr scheint bis heute nicht gefunden zu sein. Den Antworten auf eine schriftliche Frage von Jan van Aken (Die Linke) an die Bundesregierung ist zu entnehmen, dass allein im Jahr 2010 Waffen aus den Beständen der Bundeswehr im Gesamtwert von rund 18 Millionen Euro verkauft und in alle Welt exportiert bzw. „überlassen“ worden sind. Hauptempfänger war das hochgerüstete, vor dem Staatsbankrott stehende Griechenland (vgl. DAKS-Newsletter 6/2011), das 223 Panzerhaubitzen M109 im Gesamtwert von 10 Millionen Euro erhielt. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass an die Niederlande zehn Leopard 2-Panzer weitergegeben wurden. Bemerkenswert deshalb, weil die Niederlande ihre Panzerflotte eigentlich abrüsten wollten und bereits im Jahr 2007 zu diesem Zweck 100 Kampfpanzer an Kanada verkauft hatten. Wenn nun jedoch Panzer aus Deutschland die entstandene „Lücke“ schließen sollen, so scheint der Exportkreislauf damit nicht durchbrochen, sondern durch ein Rückkopplungsgeschäft getarnt.

Bedauerlich ist, dass die Bundeswehr auch im Bereich der Kleinwaffen-Vernichtung ihre Zurückhaltung aufgegeben zu haben scheint und die durch die Einführung des G36 überschüssig gewordenen Altbestände an G3-Gewehren nicht länger verschrottet, sondern weiterreicht. Im Jahr 2010 z. B. an Estland, das 528 G3-Altwaffen und 100 Maschinengewehre vom Typ MG3 erhielt.

Vielleicht wäre es für die Grünen also an der Zeit, zehn Jahre nach dem Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz, einen neuerlichen Antrag zu verabschieden, denn noch immer scheint es viel zu tun zu geben.

Aus Europa: Waffen für Libyen

Im Jahr 2006 haben sich italienische Ermittler um das italienische Rüstungsexportkontroll-Regime bemüht gemacht, indem sie die geplante Lieferung von 500.000 AK-47-Nachbauten aus chinesischer Produktion und 10 Millionen Stück zugehöriger Munition nach Libyen aufgedeckt und vereitelt haben (vgl. GRIP Analyse). Leider wurde bekannt, dass Italien im Jahr 2009 dem Kleinwaffen-Hersteller Beretta die Lieferung von 11.000 „nicht-militärischen“ Waffen (wohl Schrotflinten, die mittlerweile allerdings zur Standardausrüstung militärischer und polizeilicher spezialisierter Kräfte gehören) nach Libyen genehmigte. – Und um diesen Export zu kaschieren, so dass er den anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht angezeigt werden musste, soll Malta als Transitland eingesetzt worden sein (vgl. GRIP Analyse). Ein solches Verhalten schädigt die Glaubwürdigkeit nicht nur der italienischen Bemühungen um eine effektive Rüstungsexportkontrolle, sondern lässt insgesamt Zweifel an der Praktikabilität des europäischen Rüstungsexportkontroll-Regimes entstehen. Genährt werden diese Zweifel durch das Exportverhalten anderer EU-Mitgliedsländer. Belgien etwa genehmigte dem Rüstungsunternehmen FN Herstal im Jahr 2009 den Export von Kleinwaffen nach Libyen. Der Oberste Gerichtshof annullierte die erteilte Exportgenehmigung zwar, da sie Europäischem Recht widerspräche (vgl. Beschluss vom 29.10.2009). Geliefert wurde jedoch trotzdem, nachdem FN Herstal gegen den Entscheid in Berufung gegangen war. Vom Einsatz dieser Waffen gegen Demonstranten scheinen die verantwortlichen Politiker nun jedoch sehr überrascht, da diese Verwendung einer Klausel des Liefervertrags zuwiderlaufe. Und natürlich gibt es daneben auch noch jene G36-Schnellfeuergewehre aus deutscher Produktion, für deren Verkauf nie eine Exportgenehmigung beantragt wurde und bei denen niemand weiß, wie sie überhaupt Deutschland und die EU verlassen konnten bzw. wie sie nach Libyen gelangten (vgl. DAKS-Newsletter 3/2011). So scheint es, als würden die nationalen und europäischen Exportkontrollen nicht in Einzelfällen versagen, sondern in der Regel. So betrachtet scheint es Zeit für eine strukturelle Reform.

Deutsche Waffen in Saudi-Arabien

Verfolgt man die Berichterstattung in der deutschen Presse, so könnte der Eindruck entstehen, dass die Frage, ob Deutschland Kampf-Panzer nach Saudi-Arabien exportieren sollte, überhaupt keine Frage ist. Die Ablehnung dieses Rüstungsgeschäfts ist geschlossen. (Einzige Ausnahme ist vielleicht die Berichterstattung durch die Welt.)

Bemerkenswert ist der Panzer-Verkauf in verschiedener Hinsicht. Zunächst wirft er ein Schlaglicht auf die veränderten Rüstungsexportgewohnheiten Deutschlands. Während eine geplante Lieferung von Leopard 2-Panzern an das NATO-Mitglied Türkei noch in den Jahren 1999/2000 zu einer Regierungskrise führte, ist ein entsprechender Export in den Mittleren Osten heute in den verantwortlichen Kreisen scheinbar ein Nicht-Thema. – Genaues ist natürlich nicht bekannt, da alle Entscheidungen und eventuellen Diskussionen natürlich der Geheimhaltung unterliegen.

Weiterführend fällt jedoch besonders auf, dass auch in den interessierten Kreisen der kritischen Öffentlichkeit die Diskussion vorrangig aus einer Exportperspektive betrachtet wird, bei der – aus deutscher Sicht – die Opportunität und Legitimität eines entsprechenden Geschäfts in Frage gestellt wird. Dies ist insofern bemerkenswert, da man natürlich auch eine Importperspektive angelegt werden könnte, bei der gefragt wird, weshalb Saudi-Arabien Waffen in Deutschland erwerben möchte und welche Ziele es damit verfolgt. Um dann vor diesem Hintergrund zu überlegen, ob Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien von Deutschland unterstützt und gebilligt werden sollten.

Hierbei ist dann nicht nur entscheidend, dass der Nahe und Mittlere Osten nach Analysen von SIPRI die Weltregion mit dem höchsten Militarisierungsgrad ist, und die Weltregion, die weltweit die meisten Waffen importiert – nicht selten aus Deutschland (vgl. DAKS-Newsletter 3/2011). Wichtig wäre auch, welche Dynamik innerhalb der arabischen Welt besteht.

Gemeint ist damit nicht der so genannte arabische Frühling, sondern die Vielzahl an Konfliktlinien, die diese Region politisch prägt und die nicht zuletzt durch den Modernisierungsschub verursacht wurden, den insbesondere die Gesellschaften der ölexportierenden Länder der arabischen Halbinsel in den letzten Jahrzehnten durchleben mussten.

Der derzeitige Rüstungswettlauf im Nahen und Mittleren Osten ist so betrachtet überhaupt nicht mit dem Wettrüsten zwischen Ost und West zu Zeiten des Kalten Krieges vergleichbar. Die Blockkonfrontation war durch ein labiles, aber dennoch existierendes relatives Gleichgewicht geprägt, während die heutige Situation im Mittleren Osten von einer komplexen Dynamik getrieben wird, in der eine Vielzahl von Akteuren agieren. Die politische Stabilität der Region ist deshalb ständig bedroht. – Und das nicht erst seit dem Beginn des so genannten „Arabischen Frühlings“.

Dies betrifft insbesondere Saudi-Arabien, dessen Gesellschaft sich – bedingt durch die mit den Ölexporten verbundenen Einnahmen – seit dem Zweiten Weltkrieg von einer nomadisch geprägten, bäuerlichen Gesellschaft in eine industrialisierte, materialistisch geprägte Gesellschaft von Share Holdern verwandelt hat. Die innenpolitische Lage ist seit Jahrzehnten von einem Konflikt zwischen dem Königshaus und der liberalen Opposition auf der einen Seite, sowie der religiösen Opposition auf der anderen Seite geprägt.

Nach dem Zweiten Golfkrieg begann unter König Fahd eine erste Reform des politischen Systems. Als Ergebnis wurde 1992 die erste schriftlich gefasste „Verfassung“ Saudi-Arabiens erarbeitet und durch den König verkündet. In gleicher Weise erhielt der bereits 1953 ins Leben gerufene Ministerrat zu diesem Zeitpunkt erstmals eine Geschäftsordnung. – Seit dem ist die Tatsache, dass dieses Gremium ausschließlich eine beratende Funktion wahrnehmen darf, schriftlich fixiert. Von einiger Bedeutung ist die 2005 begonnene und 2007 fortgesetzte Reform des Justiz-Systems. Seitdem sind etwa Funktion und Berufsbild des Anwalts neu geregelt. Ebenfalls 2005 fanden erstmals Wahlen in Saudi-Arabien statt. Hierbei wurden 50% der Minister-Posten in direkter Wahl vergeben. Da Parteien jedoch nach wie vor offiziell verboten sind und die Medien durch eine Zensur-Behörde kontrolliert werden, vollzog sich der Prozess der demokratischen Meinungsbildung unter erschwerten Bedingungen.

All diese Reformen beweisen für die Anhänger und Vertreter der religiösen Opposition jedoch vor allem die Dekadenz des saudischen Königshauses. Bestätigt durch diese Reformen – vor allem aber durch die Unterstützung der westlichen Welt während des Zweiten Golfkriegs – kam es im Verlauf der 1990er Jahre zur Bildung bewaffneter Oppositionsgruppen. Und so ist es sicherlich kein Zufall, dass, wie immer wieder zitiert wird, 15 der 19 Attentäter der Anschläge vom 11. September aus Saudi-Arabien stammten.

Amnesty International weist darauf hin, dass die innenpolitische Situation durch das Heer der Gastarbeiter, auf die Saudi-Arabien angewiesen ist – vor allem seit der offiziellen Aufhebung der Sklaverei im Jahr 1963 – zusätzlich verkompliziert wird. Das Problem ist, dass diese Immigranten über keinerlei Rechte innerhalb des politischen Systems verfügen und über keine materiellen Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. Da Gewerkschaften und jede Form von Streik gesetzlich verboten sind und dieses Verbot auch durchgesetzt wird, fällt diese Gruppe als politischer Akteur nahezu vollständig aus. Die Lage dieser Menschen am Rande der Gesellschaft scheint jedoch häufig äußerst prekär zu sein – als Konfliktfaktor ist diese Gruppe deshalb sehr wohl zu berücksichtigen.

Das einzige Mittel, mit dem das Königshaus bis heute versucht, die innenpolitische Situation zu befrieden, besteht in der Verteilung der großflächigen Verteilung der Öl-Einnahmen. So wurde, wie die Zeit berichtet, Anfang des Jahres – als Reaktion auf die Revolution in Ägypten – ein Konjunktur- und Investitionsprogramm im Umfang von 130 Milliarden Dollar auf den Weg gebracht. Darin enthalten sind nicht nur Gehaltserhöhungen für die zahlreichen Staatsbeamten und Spenden an die religiösen Funktionseliten, sondern scheinbar auch Mittel für neue Rüstungsprojekte, wie die Beschaffung neuer Kampf-Panzer.

Diese Ausgabenpolitik – insbesondere auch im Rüstungssektor – ist kein neues Phänomen und so wäre es grundsätzlich sicherlich verfehlt, anzunehmen, dass sie nur oder vorrangig im Zusammenhang mit den Unruhen in der Arabischen Welt stünden.

Kostspielige Rüstungsprojekte hat sich Saudi-Arabien schon immer geleistet und seit Jahrzehnten „profitieren“ dabei auch europäische und deutsche Rüstungsunternehmen. Im Jahr 2006 etwa unterzeichnete Saudi-Arabien einen Vertrag mit Großbritannien über den Kauf von 72 Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter, um auf diese Weise – wie die europäischen NATO-Länder – die bisher eingesetzten Flugzeuge vom Typ Tornado zu ersetzen. Ab 2007 konnte das Land das Schnellfeuergewehr G36 von Heckler & Koch in großen Mengen importieren und damit das bisher eingesetzte Heckler & Koch Modell G3 ersetzen (vgl. DAKS-Newsletter 10/2008). Mittlerweile ist für die entsprechende Waffe sogar eine Produktions-Lizenz vergeben worden, so dass Saudi-Arabien von entsprechenden Importen unabhängig ist und in dieser Hinsicht keine Genehmigungsvorbehalte mehr fürchten muss. Es muss kaum hinzugefügt werden, dass mit deutscher Hilfe auch Fertigungsanlagen zur Produktion der benötigten Munition in Saudi-Arabien errichtet wurden. Der jetzige Wunsch, Leopard-2 Panzer zu erwerben, kommt so betrachtet sicherlich nicht unerwartet.

Aus all dem folgt, dass das saudische Königshaus, wenn es Waffen in Deutschland erwerben möchte, dies nicht aus einem Gefühl der abstrakten Bedrohung heraus tut, sondern aus dem Gefühl der Notwendigkeit und mit der prinzipiellen Bereitschaft, diese auch einzusetzen. Die Interventionen saudischer Truppen im Jemen im Jahr 2009 (vgl. DAKS-Newsletter 12/2009) und in Bahrain im Jahr 2011 zeigen es.

Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die deutsche Bundesregierung, wenn sie Exportgenehmigungen für Waffen nach Saudi-Arabien erteilt, sich damit zu einem aktiven Akteur innerhalb der Krisenregion des Mittleren Ostens macht. Ebenfalls hervorzuheben ist, dass die Bundesregierung auf diese Weise das deutsche Rüstungsexportkontrollregime faktisch aufhebt. Hintergrund ist, dass Saudi-Arabien seit Jahrzehnten weltweit als Finanzier arabischer Gruppen und Bewegungen auftritt. Gemeint ist damit nicht nur Unterstützung und Aufbau der Taliban während der russischen Besetzung Afghanistans, sondern etwa auch die Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde. So überwies Saudi-Arabien unmittelbar nach dem Gaza-Krieg 2008/2009 der Hamas 1 Milliarde Dollar, um die Kriegsschäden beheben zu können. Wofür das Geld konkret eingesetzt wurde, ist nicht bekannt, aber natürlich stellt sich die Frage, welche Position Saudi-Arabien einnehmen wird, sollte die für kommenden September geplante Ausrufung eines palästinensischen Staates zu Konflikten führen. Die Unterstützung, die die Hamas schon heute erhält, verspricht nichts Gutes. Die deutsche Rüstungsexportkontrolle, die vor allem auf dem Vertrauen in die Praktikabilität von Endverbleibserklärungen aufbaut, könnte so leicht enttäuscht werden. Dies gilt allgemein für alle Waffen, die nach Saudi-Arabien geliefert werden, insbesondere aber für das weite Feld der Dual-Use-Güter bzw. Waffen-Komponenten und den Bereich der militärischen Verbrauchsgüter, insbesondere Munition. Der Umstand, dass deutsche Unternehmen den Auf- und Ausbau der saudischen Kleinwaffen und Kleinwaffenmunitions-Industrie durch die Gewährung von Lizenzrechten und die Lieferung von Produktionsanlagen aktiv unterstützt haben, erschwert die Endverbleibskontrolle zusätzlich. Anders ausgedrückt: Dank der deutschen Unterstützung, den die iranische Kleinwaffen-Industrie in den 1970er Jahren erhielt, finden sich deutsche Waffenmodelle wie die Maschinenpistole MP5 von Heckler & Koch seit vielen Jahren in den Arsenalen der Hizbullah und sudanesischen Warlords. Es ist zu befürchten, dass dank der deutschen Unterstützung für das saudische Kleinwaffen-Programm bald schon Sturmgewehre des Typs G36 aus saudischer Produktion ihren Weg nach Westjordanien, in den Gaza-Streifen und in den Jemen finden werden.

AK-47: Globale Pest des 21. Jahrhunderts

Rezension zu: C.J. Chivers, The Gun, New York (Simon and Schuster) 2010, 482 Seiten

Weitere Quellen:

Jane’s Infantry Weapons, Coulston, div. Ausgaben

Ochs / Boden, Waffenkundeprüfung leicht gemacht, Stuttgart 2009, 5. Auflage

Kersten, Manfred, Schmid, Walter, Heckler & Koch, Wuppertal 1999

von Dr. Peter Lock

Chivers Studie versucht zu ergründen, wie es dazu kam, dass das AK-47 Gewehr in bewaffneten innerstaatlichen Konflikten und vielen gewalttätigen Auseinandersetzungen organisierter Kriminalität seit dreißig Jahren die bevorzugte Waffe werden konnte. Folgt man dieser Studie, dann beruht diese Dominanz auf dem überlegenen Gebrauchswert der Waffe (Robustheit, leichte Handhabung und Wartung, hinreichende Reichweite und mäßiger Rückstoß), auf ihrer großen Verfügbarkeit bei konkurrenzlos günstigen Preisen in allen Grauzonen der globalen Märkte und wiederholter verdeckter Lieferung in großem Umfang an nicht-staatliche Parteien in Gewaltkonflikten, vor allem durch die amerikanische CIA bereits im letzten Jahrzehnt des Kalten Krieges. Das Neue an dieser Situation war, dass auswärtige Mächte nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen militärisches Gerät zukommen ließen und dass mit dem Ende des Kalten Krieges endgültig illegaler Waffenhandel in großem Umfang Platz griff. Der bis dahin vor allem von Geheimdiensten zur Durchführung verdeckter Operationen alimentierte Schwarzmarkt expandierte als Teil der sich dynamisch entfaltenden Schattenglobalisierung. Gespeist wurde dieser globale illegale Markt überwiegend aus den großen, oft unzureichend kontrollierten Lagerbeständen der Länder des ehemaligen sowjetischen Einflussbereiches und der ums Überleben kämpfenden Rüstungsunternehmen in Ländern, in denen organisierte Kriminalität und politische Führung verbandelt und daher Exportkontrollen nicht wirksam waren.

Globale Spuren der Sowjetunion im 21. Jahrhundert

Chivers überschreibt das letzte Kapitel seiner Studie des AK-47 mit „Jedermanns Waffe“ und den Epilog mit „Das Gewehr des 21. Jahrhunderts“. Das AK-47 ist in der Tat das markanteste, vielleicht einzige sowjetische Markenprodukt, das die Sowjetunion noch um Jahrzehnte überleben wird. Venezuela ist nicht der einzige Staat, der aktuell AK-Gewehre für seine Hoheitsorgane erwirbt. Das amerikanische Verteidigungsministerium ist seit 2001 wieder der größte Käufer von AK-Gewehren und Munition auf internationalen, oft dubiosen Märkten. Gleichzeitig betreibt das amerikanische Außenministerium aber Programme zur Vernichtung vorhandener Bestände in Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes, um ein Abfließen in illegale Märkte zu verhindern, auf denen das Pentagon als Nachfrager agiert. Die USA statten u. a. die von ihnen geförderten lokalen Truppen in Afghanistan und Pakistan mit AK-Gewehren und Munition aus. Die Beschaffung wird international ausgeschrieben. In einem Falle führte es dazu, dass nicht mehr funktionstüchtige uralte Munition aus chinesischer Fertigung aus albanischen Beständen diesen beiden „Vasallenarmeen“ geliefert wurde. Auch eine schwere Explosion eines Munitionslagers in Albanien soll mit diesen Transaktionen in Zusammenhang gestanden haben.

In Erwartung, dass das AK-47 die Kriegsszenarien im 21. Jahrhundert prägt, ist der Umgang mit dieser Waffe fester Bestandteil der Ausbildung amerikanischer Marines. Chivers spricht von „voller Sättigung“, um den Status zu kennzeichnen, der AK-Gewehren weltweit in Konflikten zukommt. Die AK-47-Gewehre sind die erste Wahl für Potentaten, Kriminelle, Terroristen und messianische Guerillaführer. Dies gilt auch für diejenigen, die gegen die Sowjetunion oder Russland gekämpft haben und schließlich auch für diejenigen, die Genozide organisiert haben, stellt er fest.

Schlussfolgerung

Der Ertrag dieser Studie für die Handlungsorientierung des Friedensengagements in Deutschland gegen Kleinwaffen liegt in der Erkenntnis, dass die Nachfrageseite noch stärker berücksichtigt werden muss. Es gilt unsere Kenntnisse darüber zu erweitern, wie zahlungsfähige Nachfrage nach Kleinwaffen jenseits der Sicherung des staatlichen Monopols legitimer Gewalt zustande kommt und welche politischen Maßnahmen geeignet sind, dieser Nachfrage die wirtschaftlichen Grundlagen zu entziehen. Davon unberührt bleibt selbstverständlich die strikte Kontrolle von Rüstungsexporten.

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